Ernst Bloch: Die Leipziger Jahre




Als im amerikanischen Exil, in Cambridge mit der hochangesehenen Harvard University, sich der Ruf nach Leipzig abzeichnete, fragte ihn der eng befreundete �konom Adolf Lowe, wof�r - so auch ein Ruf aus Harvard an ihn erging - Bloch sich entscheiden w�rde: Universit�t Leipzig oder Harvard. Er �berlegte kurz und antwortete: Capri.

Capri. Das war die Chiffre f�r ungebundenes Dasein und Denken, Capri stand f�r eine Alternative zur institutionellen Abh�ngigkeit - mochte sie nun Harvard oder Leipzig hei�en. Blochs Antwort war die Verweigerung des "tertium non datur", war das Weder-Noch des Philosophen des Noch-Nicht, war angesichts sich ank�ndigender Notwendigkeit das Beharren auf sein Reich der Freiheit. Capri als utopische Losung stand schlie�lich f�r den dritten Weg - weswegen ihn ein Jahrzehnt sp�ter die Kaderphilosophie der DDR verdammte und der ehemalige NS-Jurist Ernst Melsheimer, nunmehr Generalstaatsanwalt der DDR, den Haftbefehl ausschrieb.

Capri war zudem nicht nur eine antizipierende, sondern auch eine erlebte Losung. Palermo, Positano und eben Capri - dorthin schiffte er sich ein Mitte der zwanziger Jahre. Mit Manuskripten bepackt. Prompt wurde er bestohlen. Tags drauf kam ein Gesandter der Bande, die ihn aufgesp�rt hatte, mit dem literarischen und sonstigen Gep�ck und den Worten: einen "scrittore", einen Schriftsteller - letztlich einer der ihren - w�rden sie nicht bestehlen. Die "Bourgeoisie" freilich allemal. So hatte Bloch seine Manuskripte wieder und konnte dort weiterschreiben, wo er, sage man, in Garmisch aufgeh�rt hatte. Umgeben, um nicht zu sagen beh�tet, von klassenbewussten R�ubern.

Der Aufenthalt in Capri nahm - wie es sich zeigen sollte - das amerikanische Dasein ohne akademische Zw�nge vorweg: das Ungezwungene des Arbeitstags, an dem man ihn in Ruhe lie�, das Einfache und Leichte des allt�glichen Lebens. Simplex sigillum veri, das Einfache ist das Zeichen des Wahren. Kaum jemand wollte etwas von ihm und dergestalt konnte er unabgelenkt sich seinem Hegel-Buch, den "Tr�umen vom besseren Leben" (so der urspr�ngliche Titel vom "Prinzip Hoffnung"), dem Naturrecht oder religionsphilosophischen Studien widmen. Die karierte Wolljacke, die Bloch auf dem Plakatphoto zur Leipziger Ausstellung "Denken ist �berschreiten" im Garten des Hauses Wilhelm-Wild-Stra�e 8 tr�gt, ist eine amerikanische, eine hemds�rmelige Erbschaft seiner dortigen Zeit.

Auf der Flucht vor den Nazis erm�glichte ab 1938 die USA das nackte �berleben - eine Existenzgrundlage bot sie ihm nicht. Meine Mutter ern�hrte die Familie, in den letzten sechs Jahren als Architektin in dem Architekturb�ro Leland & Larsen in Boston. Auf ihrer Steuererkl�rung f�hrte sie an: two dependants, mithin zwei Abh�ngige ohne Einkommen.

Der Alltag des - besonders nach amerikanischem Ma�stab - v�llig erfolglosen Ernst Bloch in Cambridge: gegen 10 Uhr aufstehen (er arbeitete nachts bis in die fr�hen Morgenstunden), sodann macht er sich auf den Weg (meine Mutter war l�ngst im B�ro, ich in der Schule), um Schinken, Brot, Milch, Zeitung und was man sonst noch zum ausgedehnten Fr�hst�ck braucht, zu kaufen. Ab Mittag beginnt die Arbeit: F�llhalter, Papier, Tabak und Pfeife. Viel mehr brauchte er nicht. Ein moderner Diogenes: das Seinige trug er bei sich. Abends kommt meine Mutter, kocht. Nach dem Essen waschen Vater und Sohn ab und er wandert - gleichsam einem Naturgesetz folgend - wieder zum Schreibtisch.

Bloch ist im Exil kein geschmeidiger Kosmopolit. Wie Oskar Maria Graf ein Bayer, blieb Bloch Pf�lzer. "Ob er jemals in Massachusetts realisiert hat", schreibt Hans Mayer, "dass man im Lande nicht deutsch sprach, ist mir immer zweifelhaft geblieben".

Als 1948 einladende Botschaften aus Leipzig eintreffen, ist er skeptisch. Er macht sich Gedanken, ob die Lehrt�tigkeit als bestallter Ordinarius ihn nicht von seinen Manuskripten abhalten werde. Seine Sorge schien berechtigt: dem nahestehenden Philosophen Arnold Metzger berichtet er Anfang 1950 "F�rs Manuskript habe ich allerdings vorerst weit weniger Zeit als in Cambridge". Im universit�ren Betrieb Leipzigs sehnte er sich - halb im Ernst, halb im Scherz - zuweilen nach der produktiven Unerkanntheit, nach dem ergiebigen Inkognito der amerikanischen Jahre, in denen er ungest�rt und ohne �u�ere Verpflichtungen arbeiten konnte.

Indes: er hatte keine andere Wahl. Das Wirken-Wollen nach Jahren der �u�eren Bedeutungslosigkeit, die Perspektive einer Werkedition, entschied. Es winkte hierbei der �stliche Teil, nicht der westliche. Westdeutschland interessierte sich nicht f�r Bloch, Arnold Zweig oder Heinrich Mann. Ob er einen Ruf nach Frankfurt am Main annehmen w�rde, wurde er gefragt. Bloch antwortete: wieso, da k�me er gerade her, aus dem kapitalistischen Amerika, das mehr Frankfurt am Main sei als Frankfurt am Main je sein k�nne.

Der �stliche Teil Deutschlands. Dort war Vorschein einer geistigen, einer politischen Heimat. Dort war der Aufbau-Verlag. Vor der �berfahrt ins ostdeutsche Reich der Notwendigkeit sichert er sich die dingliche Basis seiner weiteren Produktion: er deckt sich mit F�llhalter und Tinte ein und l�sst aus Sorge, dass es nicht genug Schreibpapier geben w�rde, eine ganze Kiste davon auf das Schiff bringen. Es gab f�r Bloch endlich die Aussicht, sein Lebenswerk in einem ernsthaften und angesehenen Verlag unterzubringen. Es kam anders, wie wir wissen. Das Gesamtwerk fand schlie�lich Unterkunft im kapitalistischen Frankfurt am Main, beim Suhrkamp Verlag.

F�r Bloch war es eindeutig: die bessere Zukunft k�nne es nur im Osten Deutschlands geben. Ein m�gliches Ithaka, eine m�gliche Heimatinsel - ein Aufbruch, eine Hoffnung nach den furchtbaren, entsetzlichen Geschichtswegen Deutschlands. Mit den Grauensgestalten Wilhelm II., Hindenburg, Ludendorff, Kapp, Hugenberg, Himmler oder Hitler. Endlich sollte Licht werden nach der deutschen Finsternis. Bloch ist in Nachbarschaft mit Johannes R. Bechers neuem deutschen Volkslied: "Heimat, meine Trauer, Land im D�mmerschein, Himmel, du mein blauer, du mein Fr�hlichsein. .... Himmel schien, ein blauer, Friede kehrte ein, Deutschland meine Trauer, du mein Fr�hlichsein."

Und so ruft er, als Ordinarius f�r Philosophie etabliert, auch die Freunde des amerikanischen Exils herbei, Arnold Metzger oder Jochen Schumacher, und l�sst gleichrangige Berufungen in Halle und Jena f�r sie aufscheinen. Meine Mutter korrespondiert mit dem in Mexiko lebenden Architekten Hannes Meyer, um ihn und mit ihm die Bauhaustradition in die DDR zu holen. Die Besten sollen kommen, die Antifaschisten, Kommunisten, Sozialisten, Humanisten. Ein gro�er, ein wichtiger Traum zieht die Bauwilligen hinan, das FDJ-Lied "Bau auf, bau auf ... f�r eine bessre Zukunft richten wir die Heimat auf" begleitet auch sie. Bloch war hierbei in guter Gesellschaft: Brecht, Eisler, Krauss, Seghers, Erkes, Hans Mayer, Herzfelde, um nur einige Namen zu nennen. Hans Mayers DDR-R�ckblick "Der Turm von Babel" tr�gt den Untertitel: "Erinnerung an eine Deutsche Demokratische Republik". Eine deutsche demokratische Republik. Eine M�glichkeit, die die f�higsten K�pfe anzog. Eine verschenkte M�glichkeit.

Mart Stam, niederl�ndischer Architekt und Designer, geht 1948 in die damalige Ostzone, reorganisiert die Hochschule f�r Werkkunst und die Akademie der bildenden K�nste in Dresden, von 1950 bis 1952 leitet er als Rektor die Hochschule f�r angewandte Kunst in Berlin-Weissensee nach der Tradition des Bauhauses. Im M�rz 1951 beschlie�t das ZK der SED eine "Staatliche Kunstkommission" einzurichten, die gehorsam die Moskauer Shdanow-Doktrin des "Sozialistischen Realismus" �bernimmt. Mart Stam wird daraufhin des "Formalismus" bezichtigt, des undeutschen, kosmopolitischen, kulturimperialistischen Funktionalismus. Er wird von seinem Amt suspendiert, erh�lt Hausverbot und verl�sst resigniert die DDR.

Die militante Kampagne traf auch andere der ersten Stunden, wie etwa Ernst Busch (der beanstandete Lieder Hanns Eislers sang), dem die Herrschenden ab Ende 1952 fast vier Jahre lang verboten, �ffentlich als S�nger aufzutreten, dessen Schallplatten nicht mehr �ber Rundfunk gesendet werden durften. Von hier an schl�gt es um: es weht ein neuer Wind, der ein sehr alter ist. Es beginnt das Ende einer deutschen demokratischen Republik, es beginnt die Entt�uschung einer Hoffnung. Meine Mutter konnte, als Walter Ulbricht sein Architekturprogramm formulierte, als Hermann Henselmann auf Moskaus Gehei� die Stalinallee baute, dem Freund aus Bauhaustagen Hannes Meyer nicht mehr raten, in die DDR zu kommen.

Auch Blochs Ithaca stellte sich nicht ein. Wir wissen, wie es weiterging. Wir wissen, wie es begann. Von Anfang an. Kaum auf ostdeutschem Boden, wurden wir belauscht. Man misstraute den Westimmigranten. Diese kamen nach Leipzig oder Ostberlin, um der finsteren deutschen Misere ein Ende zu bereiten, um nach der faschistischen Barbarei den l�ngst f�lligen Lichtweg zu gehen, um eine andere Nationalgeschichte zu er�ffnen. Bloch und seine Freunde antizipierten, eben weil Kommunisten an der Macht waren, einen menschlichen, einen demokratischen Sozialismus auf deutschem Boden. Und bekamen statt dessen einen riesig anschwellenden unbeweglichen Staatsleib. Bloch ging, bevor der durch seine absolute Macht dumm und blind gewordene Koloss zerfiel.

Waren sie, so der bittere Gedanke, letztlich blo� Figuren im sowjetischen Imperium, im geopolitischen Machtspiel? War das, sage man, objektive Bewusstsein im Kreml nicht ein v�llig anderes als das subjektive Bewusstsein jener, die guten Herzens und guten Willens, mit der Kraft ihrer Hoffnung, ihres Wissens und ihrer Klugheit mitbauen wollten an einem neuen Deutschland? Was hatte dieser Wille gemein mit der Entwicklungsdynamik des sowjetischen Systems, dessen wichtigste au�enpolitische Manifestation die totale Umgestaltung aller "Bruderstaaten" nach sowjetischem Vorbild war, organisiert und kontrolliert von der Partei, die nach Louis F�rnbergs Lied immer Recht hatte?

Die herrschende Parteib�rokratie hatte das Regierungsmonopol und sorgte daf�r, dass die Figuren, die "Tr�umer vom besseren Leben", nicht gef�hrlich wurden. Und einer der gef�hrlichsten war Ernst Bloch. Sein Diktum "Denken ist �berschreiten" f�hrte den Menschen ein, gef�hrdete die auf einen Punkt hinzielende objektive Dialektik des Sowjetmarxismus, die der Staatsratvorsitzende noch im letzten Dahinsiechen beschwor: "Den Sozialismus in seinen Lauf halten weder Ochs noch Esel auf".

Der Mensch macht seine Geschichte selbst. Dieser von Marx empathisch begr��te Satz Gambattista Vicos war mit der Parteidiktatur unvereinbar. Denn in deren objektivem R�derwerk der Geschichte war kein Platz f�r selbstst�ndig Denkende, die es wagten, sich des eigenen Verstands zu bedienen und sich nichts vordenken zu lassen, kein Platz f�r den "subjektiven Faktor", wie Bloch das nannte, kein Platz f�r eine marxistische "Kritik der praktischen Vernunft", kein Platz f�r eine marxistische Anthropologie, kein Platz letztlich f�r Blochs utopische Antizipation einer realen Demokratie, einer menschen- und naturgerechten Heimat.

Als der ehemalige Wehrmachtskoch, der 1. Bezirkssekret�r der SED in Leipzig, Paul Fr�hlich, meine Mutter anherrschte, ob sie den "menschlichen Sozialismus" vertrete, gab die Kommunistin, die durch ihre freche Schnauze in einem sowjetischen Exil keine Woche �berlebt h�tte, dem Leipziger Statthalter zur Antwort: "Keinesfalls, den unmenschlichen nat�rlich". Bei diesem "Sozialismus" blieb es. Es traten unhaltbare Zust�nde ein. Diese dauerten bis 1989. Die Beherrschten wollten schon seit Jahrzehnten nicht mehr, nun aber wussten die Beherrscher nicht weiter, weil ihnen ihre Panzer abhanden gekommen waren. Eine, nach Lenin, klassische revolution�re Situation. Der Spuk war vorbei, die Omnipotenz der Hauptverwaltungen ewiger Wahrheiten beendet. Oder, in den Worten von Marx und Engels aus dem "Kommunistischen Manifest": "Alle festen, eingerosteten Verh�ltnisse mit ihrem Gefolge von altehrw�rdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgel�st, .... Alles St�ndische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit n�chternen Augen anzusehn".

Wir k�nnen mit dieser Ausstellung erneut aufatmen, dass ein b�s gewordener Traum sein Ende fand. Um des Traumes willen. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der den Irrt�mern seiner Epoche nicht entgehen konnte, der die Widerspr�che seiner Zeit in sich trug. Es gab f�r Bloch keinen sicheren Trib�nenplatz oberhalb des Gewoges der streitenden Kr�fte. Seinem Kompass, mit Marx "alle Verh�ltnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein ver�chtliches Wesen ist", blieb er treu. Auch indem er ging. Die Geduld seines radikal-humanistischen, kategorischen Imperativs brannte fortan im Westen, da gab es wenigstens Luft.

Die Radiernadel indes, mit der er politisch philosophierte, die Hand, die sie f�hrte, konnten mitten im Handgemenge nicht so sicher sein wie man dies, sage man, positivistisch erwarten mag.

"Sag mir wo du stehst" hie� ein Lied der sterbenden DDR. Eine bewegende Frage. Bloch, der Denker des aufrechten Gangs, wollte nach dem Mauerbau nicht dort stehen, wo wir heute stehen. In Leipzig. Dem Ort seiner gr��ten Hoffnung, dem Ort seiner gr��ten Entt�uschung, dem Ort seines Trotzalledem.

 
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von
 
Jan Robert
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