"S ist noch nicht P"

Vor 25 Jahren starb der Philosoph Ernst Bloch

Als Ernst Bloch (1885-1977) nach dem Kernsatz seiner Lehre gefragt wurde, antwortete er nach einigem Zögern: "S ist noch nicht P." Ob der Frager mit dieser Antwort zufrieden war, ist nicht überliefert - seine Philosophie hat Bloch jedenfalls damit treffend auf den Punkt gebracht. Da im Punkt aber alles aufs Äußerste konzentriert ist, bleibt es meist unverständlich.

Lohnt sich aber der Versuch überhaupt, hier etwas zu erklären? Hat Philosophie heute noch etwas zu sagen? Aristoteles und Hegel sind lange tot. Welche zeitgenössischen Philosophen sind denn einem breiteren Publikum bekannt? Vielleicht, dank des neuerdings im Fernsehen präsentierten"Philosophischen Quartetts", Sloterdijk und Safranski? Wofür stehen ihre Namen? Möglicherweise fällt noch der Name Heidegger, der in den letzten Jahren geradezu eine Renaissance erlebte, trotz seiner "schwierigen" Vergangenheit als Philosoph des Führers.

Still geworden hingegen ist es im offiziellen Diskurs um eine andere Schule des Denkens, um die Theoretiker und Philosophen des sogenannten "Westlichen Marxismus". Zu ihnen gehört Ernst Bloch. Er und seine Philosophie hatten es nicht leicht. Dreimal verließ Bloch im Lauf seines Lebens Deutschland: Im Ersten Weltkrieg ging er in die Schweiz, vor den Nazis floh er in die USA. 1949 erhielt er einen Ruf an die Universität Leipzig, wo er mit 64 Jahren den ersten und einzigen ordentlichen Lehrstuhl in seinem Leben erhielt. Doch bereits acht Jahre später wurde er zwangsemeritiert. Ulbricht schrieb ihm am 11. Februar 1957: "Es gibt zwischen Ihnen und uns Meinungsverschiedenheiten über philosophische Probleme. Das ist nichts Neues, denn Ihre philosophischen Anschauungen, die mit den Grundprinzipien der marxistischen Philosophie nicht übereinstimmen und unsere Studenten nicht zu aktiven und bewußten Erbauern des Sozialismus in der DDR erziehen, sind nicht erst jetzt bekannt." Nach dem Mauerbau kehrten die Karola und Ernst Bloch von einer Urlaubsreise nicht nach Leipzig zurück. Seine letzten Jahre verbrachte Bloch in Tübingen, wo er späte Anerkennung erfuhr. Die rebellierenden Studenten und Studentinnen begeisterten sich für ihn und er wurde, neben Herbert Marcuse, zum Mentor der Achtundsechziger.

Zurück zum Anfang. "Subjekt ist noch nicht Prädikat" - so lautet die Formel ausgeschrieben – was vereinfacht bedeutet: Noch nichts ist so, wie es sein könnte. Wir machen aber gern Aussagen darüber, was und wie jemand oder etwas ist. Solche Statik ist für Bloch reine Ideologie, denn jegliche Praxis ist immer auf Zukunft gerichtet.

Was hat Bloch zum Zeitgeschehen zu sagen? Für ihn ist Wirklichkeit Prozess. Das ist nicht neu, aber wichtig. Wirklichkeit ist offener Prozess, der prinzipiell gelingen oder scheitern kann. Und die Menschen können das Gelingen befördern. Das ist schon mehr, als von manchen behauptet wurde. Wirklichkeit ist ein Prozess, der Neues hervorbringt, wirklich Neues, was es vorher noch nicht gegeben hat. Diese prinzipielle Offenheit gilt nicht nur für das individuelle Leben, nicht einmal nur für die Gesellschaft und die Geschichte. Bloch, und das unterscheidet ihn von anderen Theoretikern des westlichen Marxismus, bezieht auch die Natur, bis hin zum Kosmos, in sein Denken des Noch-Nicht ein.

Dieser Möglichkeitscharakter des Welthaften stellt die Menschen vor große Aufgaben. In ihrer Praxis entscheiden sie unablässig mit über den Fortgang des Prozesses - ob sie das wissen oder nicht. Sie verhalten sich gemäß bestimmter Muster, sie denken in Kategorien, die mit Sicherheit auf irgendeinem philosophischen Paradigma oder eine Mischung verschiedener beruhen - sehr beliebt sind Pragmatismus oder Utilitarismus, wo Wahrheit gern mit Nützlichkeit gleichgesetzt wird. So unterliegt jedes Handeln einem Denken, das in seinen Wurzeln verortet werden könnte. Sich das zu Bewußtsein zu bringen, ist keine geringe Leistung. Wenn das Ergebnis nicht gefällt, kann man sich nach Alternativen umsehen! Übrigens: Wie sich von selbst versteht, ist nicht jederzeit alles Denkbare möglich. Die Praxis, insbesondere die uns gesellschaftlich-ökonomisch vermittelte, setzt Grenzen. Aber auch diese zu durchschauen, ist wiederum nicht unmöglich, wie ein gewisser Philosoph und Theoretiker des 19. Jahrhunderts gezeigt hat. Karl Marx hieß er, glaube ich!

Erschienen in Straßenkreuzer 3/2002, http://www.strassenkreuzer-online.de

 
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von
 
Doris
Zeilinger
 
 
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