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Wenn
das Auto mehr weiß als sein Fahrer
Tagung der
Ernst-Bloch-Assoziation zum Thema "Grenzen der Utopie? Krieg der Hoffnung?"
in Ludwigshafen
"Das Prinzip Hoffnung", der Titel von Blochs
Hauptwerk, sei zum zynischen Zitat oder zur Platitüde verkommen, stellte
Anne Frommann (Tübingen) einleitend zu ihrem Vortrag fest. Daraus leitete
sie ab, "wie wenig die Domäne Zukunft zurzeit lockt", bevor sie sich der
sozusagen existentiellen Seite der Blochschen Philosophie, dem "Dunkel
des gelebten Augenblicks", zuwandte.
Doris Zeilinger, die Sprecherin der Bloch-Assoziation,
erinnerte einleitend zu deren Tagung am Wochenende im Ludwigshafener Bloch-Zentrum
an das Kondolenzschreiben des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt
beim Tod des Philosophen am 4. August 1977. Schmidt würdigte Bloch vor
25 Jahren als einen der "herausragenden Beweger im europäischen Geistesleben".
Die Bloch-Assoziation bemüht sich auf ihren alljährlichen Tagungen, die
im nächsten Jahr in Costa Rica stattfinden wird, um eine Aktualisierung
Blochscher Problemstellun gen. Mit dieser Anstrengung tnfft sie sich mit
den Intentionen des Bloch-Zentrums, wie dessen Leiter Klaus Kufeld feststellte.
"Grenzen der Utopie? Krieg der Hoffnung?"
stand als Fragestellung über der Tagung, ohne dass sich nun sämtliche
Referate explizit an deren Beantwortung gemacht hätten. Das Werk des utopischen
Denkers des 20. Jahrhunderts ist so vielschichtig, dass es Marxisten ebenso
wie Mystiker anspricht.
Der Name Helmut Schmidts und Sein Ausspruch
„Wer Visionen hat, muss zum Augenarzt" fiel erneut in der Diskussion zu
Francesca Vidals (Landau) Vortrag. Sie verfolgte die Geschichte des Begriffs
"Vision" durch Antike und Mittelalter und machte an etlichen Belegen deutlich,
dass der aus seinen religiösen Bezügen gelöste, säkularisierte Begriff
heute zur Bezeichnung einer zukunftsgreifenden Perspektive in Wirtschaft,
Politik, Medien und selbst in den Kirchen gang und gäbe ist. Der Modebegriff,
so Vidals These, suggeriere etwa in der "Vision Europa", dass etwas Neues
gesehen werde, aber ohne, wie die Utopie, den Rahmen des Bestehenden zu
sprengen.
Aus der Sprache der Reklame las Beat Dietschy
(St. Gallen) den Triumph des globalisierten Marktes heraus. Wie eine Parodie
auf die Zentralfragen von Kant und Bloch mutet etwa an: "Woher komme ich?
Wohin gehe ich? Und wieso weiß mein Golf die Antwort?" Oder eine Zigarettenmarke
wirbt mit: "Suchen Sie keinen Sinn. Sondern Geschmack." Gegen die Totalität
grenzenloser Globalisierung setzte Dietschy Blochs Begriff des "Multiversum",
den der Referent als erprobende Vielfalt von Wegen zu einer menschlichen
Welt definierte. In einer Globalisierung von unten, etwa der Bewegung
mexikanischen Indianer, erblickt er konkrete Utopien im Sinne Blochs.
Im Unterschied zum Widerstand der Kirchen
gegen Genforschung und Biomedizin im Namen einer Bewahrung der Schöpfung
zweifelte Bloch daran, dass sich der wissenschaftliche Erkenntnisdrang
stillstellen lasse, wie Doris Zeilinger (Nürnberg) herausararbeitete.
Bloch setzte ihm aber entgegen, dass die züchtende Gesellschaft selbst
erst gezüchtet werden müsse, um Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Auf den Afghanistan-Krieg warf Hans-Ernst
Schiller (Düsseldorf) einen Blick unter völkerrechtlichem Gesichtspunkt.
In der Konflikt-Politik der USA seit 1989, so auch im Jugoslawien-Krieg
1999, sah Schiller die Gefahr einer Delegitimation der UNO und Diskreditierung
der Menschenrechte durch die Politik. Schon Kant habe in seiner dem Volkerrecht
gewidmeten Schrift "Zum ewigen Frieden" mit dem Problem einer exekutiven
Gewalt in einem Völkerbund gerungen. Kant war 1795 zu dem Ergebnis gekommen,
von einer exekutiven Gewalt in einer Rechtsgemeinschaft souveräner Staaten
abzusehen, denn sie müsste ein Weltstaat sein, der den Keim der Despotie
in sich trüge.
Mit der Kontroverse zwischen den Freunden
in der amerikanischen Exilzeit, Ernst Bloch und Günther Anders, beschäftigte
sich Arno Münster (Paris). Während Anders in "Die Antiquiertheit des Menschen"
die Technik als neuen Herrn der Welt bezeichnete, der die Täter von Auschwitz
und des Atombombenabwurfs auf Hiroshima zu teilnahmslosen Ingenieuren
mache, warf er Bloch in einer Zeit der Furcht vor einem Atomkrieg "nur
billige Hofferei" vor. Münster verteidigte den Utopisten, indem er in
Anders Haltung eine Negation des Fortschritts sah und darauf verwies,
dass Bloch Hoffnung nicht als Zuversicht verstanden wissen wollte und
sie realistisch in Beziehung zur Angst als Reaktion auf eine prekäre Welt
setzte. Im Unterschied zu Anders habe er aber an der Möglichkeit einer
humanen Welt gegen das Böse festgehalten.
Als Vorschein realisierter Utopie nimmt für
Bloch unter den Künsten die Musik eine herausgehobene Stellung ein. Der
Ton spreche aus, was im Menschen noch stumm sei, begründete Jan Robert
Bloch (Berlin) diese hohe Wertschätzung und ging insbesondere auf das
Trompetensignal ein, das in Beethovens Oper "Fidelio" in Florestans Kerker
vordringt und, wie Jan Robert Bloch sagte, seinen Vater dessen ganzes
Leben begleitet habe.
Rheinpfalz vom 02.07.2002
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| Beitrag |
| von
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| Hans-Ulrich |
| Fechler
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