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Bloch & Cassirer. Zum Vortrag
E. W. Orths in Ludwigshafen
Die Problematik des Vortrags, der einen Vergleich zwischen Ernst Bloch
und Ernst Cassirer anstrengte, verriet sich bereits in der Grundthese:
Die Kultur
ist bei beiden Philosophen als Bedeutungsraum des Menschen aufgefaßt
und definiert. Diese Klammer um zwei Werke, die sich unserer Meinung nach
mehr unterscheiden als gleichen, wirkt aufgebogen und geradezu bis ins
Unproduktive verallgemeinert.
Blochs Philosophie als "Kritik
des utopischen Bewußtseins" vorzustellen, trägt den neukantianischen
Stempel und ist in der Reihe der permanenten Rückbezüglichkeiten
zu sehen, die die deutsche Philosophie aus Kant immer wieder in alter
Frische neu entstehen läßt. Irgendwie, egal wie schmal die
Basis auch ist, hängt doch alles mit Kant zusammen, und genau das
stimmt uns von vornherein mißtrauisch. Nehmen wir also E. W. Orths
Vortrag als das, was er ist: Die Perspektive eines von Cassirer instruierten
Neukantianers auf Blochs Werk ein Experimentum
Bloch auf Kantschem Boden
wirklich interessant, aber Repliken provozierend.
Was darf man nun als Gemeinsamkeiten
von Bloch und Cassirer erachten? Beide erlebten Georg Simmel
in Berlin. Dieser
vermittelte ihnen einen ersten Blick auf Sinn und Gestalt der Kultur.
E. W. Orth hob drei Punkte der Einflußnahme besonders hervor: Kultur
wird als Welt des Menschen aufgefaßt, ein anderer Begriff für
Wirklichkeit also. Sie bildet den Rahmen des Schicksals des Subjekts.
Und sie ist eine geistige Dimension in medialer Manifestation, die Ästhetisches,
Soziales und Ökonomisches (vgl. Simmels Philosophie des Geldes) umfaßt.
Aber gerade das Großstadterlebnis sollte man unseres Erachtens nicht
einfach beiseite lassen. Es "kreißte und faulte" zugleich
im Berlin dieser Zeit. Sowohl die Vertreter des literarischen und darstellenden
Expressionismus als auch Philosophen wie Simmel, Bloch und Cassirer, alle
z.T. überfordert durch die Simultaneität des Unverbundenen,
verwerteten diese Erfahrung doch auch auf unterschiedliche Weise. Deshalb
fällt es schwer, die Kategorien der "Gleichzeitigkeit
Ungleichzeitigkeit" Blochs mit der "Kultur als Zeitgestaltung"
Cassirers übereinzubringen. Nur weil "Zeit" in beiden Begrifflichkeiten
vorkommt, ist keine schlüssige Argumentation abzuleiten. Die Offenheit
und Dynamik der Blochschen Konzeption mit der Frontstellung des Menschen
im Weltprozeß als des die geschichtlichen Möglichkeiten verwirklichenden
Wesens widerspricht der von Cassirer postulierten homogenen kulturellen
Formung geradezu. Die praktische
Ausrichtung der Blochschen Philosophie, die sich in
den Transmissionkategorien Front, Novum, Ultimum und der "Kategorie
aller Kategorien", der objektiv-realen Möglichkeit, verdichtet,
kommt im Rahmen des von Orth angestrengten Vergleichs nicht mehr zur Geltung:
Das zentrale Anliegen der Blochschen Philosophie bleibt unbeachtet.
Doch zurück zu den Gemeinsamkeiten:
Wie einige Schriften Cassirers erschien der Geist der Utopie
wie oft muß dieses Buch inzwischen als entmarxifizierter Blochscher
Kern herhalten beim Cassirer Verlag, den ein Verwandter Cassirers
führte. Die beiden Philosophen teilten des weiteren das Schicksal
der Emigration in die USA, wo Cassirer besser Fuß fassen und erfolgreich
veröffentlichen konnte. Bloch, wie auf Eis gestellt, gelang es nicht,
sich in diese Kultur einzubringen vermutlich weil seine Philosophie
unserer Meinung nach nicht auf einen ausschließlich strukturellen
Grundbefund zu reduzieren und dann in einen anderen Diskurs übersetzbar
ist. Dafür ist sie zu sehr durch Marxismus, Ethik, sprachliche Eigenheiten,
kurz und gut, durch ein Konkretes
konstituiert.
Auf die Werkgestalten
legte E. W. Orth besonderes Augenmerk: Beide Autoren waren sogenannte
Vielschreiber. Sie bedienten zwei Typen von Texten: die systematischen,
in welchen Grundprobleme verhandelt werden; und die historischen, in welchen
geschichtliche Materialien umfangreich dargestellt und diskutiert werden.
Gerade am zweiten Typus zeigt sich, wie philosophische Erkenntnis bei
beiden unbedingt in der tatsächlichen Durchführung verwurzelt
sein muß. Der Grundbefund entsteht also erst durch die Welt, in
den symbolischen Formen, im tatsächlichen Kulturprozeß selbst.
Schließlich war die
Rede von der entwickelten Sprachpraxis:
Bei Bloch könne man von poetischer Leistung sprechen, bei Cassirer
immerhin von der Einbeziehung dichterischer Sprachgebungen. In beiden
Werken würden sich wissenschaftliche und poetische Texte gegenseitig
erhellen, beide bedienten sich eines ausgesprochen zitatesken Stils
vom Goethe- bis zum Selbstzitat. Die literarische Reminiszenz bzw. Praxis
erfüllt bei Bloch ganz manifest die Aufgabe, den utopischen Gehalt
miteinzubringen. Dieser ist allein in der Sprache herzustellen. Wir gehen
d'accord, dennoch konnte das "animal utopicum", das sich nach
Orth möglicherweise irgendwo im Werk Blochs verstecke, bislang nicht
aufgefunden werden. Allzuviel Hoffnung besteht auch fernerhin nicht, da
sich dieser "tierische Aristotelismus" mit Verlaub
gegen Blochs Konzept spreizen würde.
Bloch, hörten wir, wurde
1968 politische Popularität zuteil, Cassirer verständlicherweise
nicht. Darüber hinaus wäre Bloch nicht zuletzt wegen seinem
ans Erzählen angelehnten Stilprinzip ungleich populärer als
Cassirer gewesen. Seine Sprache sei ungleich literarischer, versierter
auf Wirkung bedacht als die Cassirers. Doch was Cassirer und Bloch zur
Sprache brachten, entspräche sich: Die Behauptung
des Subjekts in der Kultur. Da muß die Frage erlaubt
sein, ob die Beschaffenheit einer Sprache als marginal erachtet werden
kann? Ist sie sodann nicht mehr selbst Resultat mündiger intentionaler
Entscheidungen, sondern von außen wie zufällig durch Talent
oder Opportunismus aufgeklatscht? Mit dieser Inhalt-Form-Grätsche
hätten wir zugegebenermaßen unsere Probleme. Natürlich
ist diese ein von Kant aufgegebener Dualismus, und solche Hausaufgaben
für Akademiker sind in dessen Schriften in Hülle und Fülle
zu finden. Doch gerade Cassirer wollte diesem Dualismus entgegenarbeiten:
Er sah die Kultur als Integration von symbolischen Formen und ihrer Bedeutung.
Festzuhalten bleibt Cassirers semiotische Überwindung des Neukantianismus,
wenn er von einer Identität von Sprache und vermittelten Gegenstand
ausgeht. Sprache kommt als Bedeutungsraum in Betracht, in dem das Subjekt
seine Möglichkeiten bestimmt. Schreitet E. W. Orth also kantianisch
wieder hinter Cassirer zurück?
Was ist der Mensch? Cassirer
antwortet uns: ein animal
symbolicum, d.h., der Mensch prägt sich im Prozeß
der symbolischen Formung aus, ist selbst symbolisch, Vor- und Musterbild
einer symbolischen Relation. Hierin, so Orth, sei die Trennung des traditionellen
Leib-Seele-Modells aufgehoben, was durch die griechische Bedeutung augenfällig
werde: "symballein" heißt zusammenwerfen oder -halten.
Der Sinn, der im Symbol repräsentiert wird, ist nie endgültig
entschieden. Diese Offenheit birgt das Utopische, wenngleich nicht unbedingt
von Prozessualität wie bei Bloch gesprochen werden kann. Umgekehrt
ist das Symbol
bei Bloch längst nicht so universal gesetzt wie bei Cassirer: Es
bezieht sich ausschließlich auf den religiösen Kontext, dem
es entstammt. So wird z.B. in der Religionsgeschichte eine profane Erscheinung
durch das Zusammentreffen mit der Sphäre des Göttlichen zu einem
Symbol, erhält dadurch selbst einen religiösen Sinn und vermittelt
die Gegenwart des Heiligen. Cassirer geht es weit darüber hinaus
um alle Gestalten des menschlichen Weltverständnisses: Diese faßt
er im Begriff der "symbolischen Formen". In ihnen ist ein sinnliches
Substrat mit einem nicht anschaulichen, abstrakten Sinn verflochten. Das
meint "bedeutsame Darstellung". Die Beziehungen, die der Mensch
dabei schafft, sind nicht dinglich, sondern symbolisch. Er geht in ein
symbolisches Universum ein, das durch eine Pluralität der symbolischen
Formen gekennzeichnet ist.
Hebt man die Terminologie
nach dem Vorbild Orths ins Medienzeitalter,
erscheint der Mensch als Sinnaggregat unter Sinnaggregaten, Medienereignissen
und interaktiven Leistungen mit Materialcharakter. Nicht zu vergessen:
Der Körper ist dabei stets unser erstes Medium. Die Definition des
imaginären und pluralen Körpers bei Roland Barthes ist dieser
Medientheorie bei weitem vorzuziehen. Auch Henri Lefèbvre bestimmt
die Interaktion des Menschen durch einen weitaus operableren Begriff:
die Gesten. Sie verbinden das Individuum mit dem Raum, das Mentale mit
dem Sozialen.
Orths Fensterblick auf Bloch
hat, wie schon erwähnt, einen Königsberger
Rahmen, und so verwundert es nicht, daß der Materialismus
Blochs als Knackpunkt seiner Philosophie angesehen wird. Warum, so Orth,
tritt der Geist nie als Geist auf? Ein gegen den kanonischen Strich gelesener
Cassirer könnte eine zufriedenstellende Antwort geben: Blochs Philosophie
ist nicht loszulösen von der Welt, sondern besteht aus dem Experiment
mit ihr, das sie selbst ist. Sie besteht nicht aus einer Kette von apriorischen
oder abstrakten Formalisierungen und Systematisierungen. Es gibt keine
Kategorie ohne die ganze Fülle von Bezügen zum lebendigen bzw.
sozial und historisch bestimmten Menschen.
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