Sozialwirtschaft
als Alternative zur Kapitalwirtschaft
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Inhalt:
Die Frage nach der konkreten Alternative
Konstruktionsfehler der Kapitalwirtschaft
Praxisform und ökonomisches Kalkül der Kapitalwirtschaft
Genesis und neues Wertgesetz der Sozialwirtschaft
Sozialwirtschaft: Eine Realität in Latenz
Perspektiven der sozialwirtschaftlichen Transformation
Die Diskussion um die ökonomischen
und gesellschaftlichen Krisen unserer Zeit bewegt sich fast vollständig
in den eindimensionalen Begriffen der herrschenden Wirtschaftsweise. Diese
suggerieren, daß den Problemen nur durch eine Modernisierung der Kapitalwirtschaft
abgeholfen werden kann. Dem Notgeschrei und der Propaganda der Modernisierung
weiß auch die Opposition nichts Überschreitendes entgegenzusetzen.
Gewerkschaftliche, sozialdemokratische oder auch ökologische Korrekturvorschläge
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß man keine
wirkliche Alternative kennt.
So lähmt die gesellschaftlichen
Bewegungskräfte ein tiefgreifender Mangel an konkreter Utopie: Die
Kapitalwirtschaft hat sich global durchgesetzt, das Terrain planwirtschaftlicher
Experimente wurde gründlich geräumt. Die kritische Gesellschaftstheorie
verweist zwar noch auf Defizite und Risiken der gesellschaftlichen Entwicklung,
aber nicht auf konkrete Alternativen. Dabei werden kaum mehr ökonomische
Basisfragen aufgeworfen. Die marxistische Kritik der politischen Ökonomie
schließlich ist in einer negativen Krisen- und Weltmarkttheorie
erstarrt.
Der Ausbruch aus dem eindimensionalen
Denken, die Überschreitung der utopielosen Negationen verlangt außerordentliche
theoretische Anstrengungen. Die entscheidende Frage lautet: Gibt es die
reale Tendenz und Möglichkeit einer neuen Wirtschaftsweise und gesellschaftlichen
Selbstorganisation und wie kann diese konkrete Alternative theoretisch
gefaßt werden? In dieser Arbeitsperspektive entstand die hier vorgestellte
Theorie der Sozialwirtschaft.
Die Krise der kapitalistischen Industriezivilisation
beruht nicht auf immanenten Modernisierungsrückständen und ist
nicht durch irgendwelche äußeren Bedingungen verursacht. Die
Schwierigkeiten verweisen vielmehr auf ein systemimmanentes Unvermögen
der Kapitalwirtschaft, auf der Produktivitätsstufe automatischer Systeme
mit ihrem warenwirtschaftlichen Overflow verwertungsökonomisch fertig
zu werden und die gesellschaftliche Gesamttätigkeit sinnvoll zu organisieren.
Dieser Mangel äußert
sich in widersprüchlichen Phänomenen: Wir sehen einerseits einen
sich überschlagenden Konsumismus und eine ungeheure Verschwendung
in Subventions- und Investitionsabenteuern wie schnellen Brütern
und Magnetschwebebahnen, während zugleich massenhaft Produktionskapazitäten
sowie Arbeitsvermögen brachliegen und sich soziale Mißstände
häufen.
Bei unvereingenommener Betrachtung
ist klar, daß das warenproduzierende System innerhalb der Zwingfesseln
seiner Reproduktionskreise, der Domäne seiner spezifischen ökonomischen
Rationalität, überhaupt nie mehr eine ausreichende Beschäftigung
bieten kann: Kapitalwirtschaftliches Wachstum auf dem Produktivitätsniveau
automatischer Systeme bedeutet nicht mehr Beschäftigung, sondern
tendenziell noch weniger Arbeitsmöglichkeiten.
Dabei verlangt das warenproduzierende
System, um den Problemdruck zu mildern, auch alle notwendigen und nützlichen
Tätigkeiten außerhalb seiner eigentlichen Domäne auf ein
niedrigstmögliches Niveau zu reduzieren. Solche Tätigkeiten,
die der gesellschaftliche Lebensprozeß und im Grunde auch die Wirtschaft
selbst zunehmend als Basis- und Rahmenleistung benötigt, fasse ich
zur Unterscheidung von der industriewirtschaftlichen Warenproduktion unter
dem Begriff »sozialwirtschaftliche Dienste« zusammen. Dieser
andere Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit schließt beispielsweise
Tätigkeiten der Erziehung und Bildung ein, die allgemeingesellschaftlichen
Verwaltungsangelegenheiten, die Reproduktion der Infrastrukturen aller
Bereiche des modernen Stadt- und Alltagslebens und nicht zuletzt immense
sozialproduktive Funktionen in den Bereichen Soziales, Gesundheit und
Umwelt.
Hinter verwirrenden Phänomenen
kann der entscheidende Konstruktionsfehler der Kapitalwirtschaft erahnt
werden: Sie ist durch ihr borniertes ökonomisches Kalkül gezwungen,
materiellen Reichtum auf die Bahnen eines warenwirtschaftlichen Produktivismus
und Konsumismus, einer selbstzweckhaften akkumulativen Investition sowie
auf das Spielfeld eines globalen Monopoly zu lenken. Zugleich ist sie
aber nicht fähig, die tatsächlich überreichlich verfügbaren
ökonomischen Potentiale zur Unterhaltung von gesellschaftlich nützlichen
Tätigkeiten jedweder Art einzusetzen, um auf diese Weise Beschäftigung,
Wohlfahrt und Ökologie zu fördern, inhumane Arbeitsformen abzubauen
und letztlich überhaupt die Arbeitszeit für alle zu reduzieren.
Stattdessen werden entsprechende
Tätigkeiten als Kultur- und Sozialballast definiert, auf das Notwendigste
reduziert oder überhaupt nur als unbezahlter Gemeinschaftsdienst
zugelassen: Die ihnen als notwendiger Bestandteil im System der gesellschaftlichen
Arbeit innewohnende wertschöpfende Kraft wird in der übermächtigen
Systemperspektive aberkannt, so als ob eine horrende Warenproduktion die
einzig wahre Produktion darstellte, der gegenüber sozialwirtschaftliche
Tätigkeit nur als negativer Sozialkostenfaktor in Betracht kommen
könnte: Ein wissenschaftlicher Dogmatismus und eine verbreitete Ideologie,
die als historischer Irrtum der mitttelalterlichen Kirchenlehre in nichts
nachstehen.
Angesichts des destruktiven
Produktivismus und der verschleierten arbeitsökonomischen Repression
der Kapitalwirtschaft stellt sich die eigentliche Frage unserer Zeit:
Kann es eine Ökonomik jenseits der waren- und kapitalwirtschaftlichen
Monokultur geben, welche die Emanzipation jener anderen Arten der Tätigkeit
fördert, die gesellschaftliche Gesamttätigkeit sinnvoll organisiert
und letztlich eine befriedigende gesellschaftliche Güter- und Lebensproduktion
ohne Krämpfe und Krisen gewährleistet?
Die Antwort auf diese Frage
wird auf dem Wege einer szenischen Praxisformanalyse gesucht, die an den
ursprünglichen Marxschen Forschungsansatz anknüpft, ihn aber
im Sinne einer Transformationsanalyse überschreitet. Mit diesem Ansatz
wird die klassische Kritik der politischen Ökonomie, die in einer
negativen Krisen- und Revolutionstheorie kulminierte und zugleich erstarrte,
definitiv überschritten und in die konkret-utopische Dimension erweitert.
Ich skizziere nur kurz einige wesentliche
Aspekte des Marxschen Forschungsansatzes: Marx modellierte einen gesamtgesellschaftlichen
Prozeß der industriellen Warenproduktion mit zwei Abteilungen, der
Abteilung für Produktionsmittel und der Abteilung für Konsumtionsmittel.
In diesem Kontext erscheinen die hier so genannten sozialwirtschaftlichen
Dienste nurmehr als kapitalwirtschaftlich unproduktive und damit kapitaltheoretisch
unbeachtliche Randtätigkeiten. Indem Marx die wesentlichen Erscheinungen
seines Szenarios fixierte, konnte er die Schlußfolgerungen seiner
Kapitaltheorie ziehen.
Demnach beruht die kapitalistische
Wirtschaftsweise auf einem spezifischen Arrangement der Reproduktionselemente,
dessen Gesamtform als objektive Sinnimplikation ein bestimmtes ökonomisches
Kalkül enthält. Was wir ökonomische Rationalität nennen,
was sich in den Weisen der wirtschaftlichen Rechnungslegung niederschlägt,
ist der bewußte Ausdruck dieses Kalküls.
Das sich nahezu ungreifbar
und unbegriffen von innen her geltend machende Verwertungskalkül
spannt die Kapitalwirte in einen letztlich unverstandenen ökonomischen
Prozeß ein und zwingt den arbeitenden Menschen eine nie enden wollende
Sisyphusarbeit im Rahmen eines überwältigenden Wachstumsprogramms
auf: Das kapitalwirtschaftliche Betriebssystem programmiert die ökonomische
Tätigkeit der Gesellschaft zwanghaft und schrankenlos auf eine einseitig
warenwirtschaftliche Akkumulation und Expansion, mit welchen ökonomischen
und gesellschaftlichen Konsequenzen auch immer. Im organischen Leben stellt
die auf enthemmtes Wachstum programmierte Krebszelle eine ähnliche,
ebensowohl produktivistische wie schleichend destruktive Erscheinung dar.
Die zwingende Wirkmacht des
Krebskalküls liegt der kapitalwirtschaftlichen Wachstums- und Zivilisationsbewegung
der zurückliegenden Geschichte zugrunde. Dabei verschiebt sich aber
infolge der einprogrammierten Zielfunktion ständig die Proportion
zwischen der angewandten lebendigen und in konstantem Kapital geronnenen
Arbeit bis hin zu dem Umschlagspunkt, an dem weitere Investitionen nicht
mehr, sondern tendenziell noch weniger Arbeit erfordern.
An diesem inzwischen überschrittenen
historischen Krisenpunkt erwächst eine zunehmende, schlechthin für
das System überflüssige Bevölkerung. Die Kapitalwirtschaft
lähmt so Millionen gesellschaftliche Glieder und ist doch zugleich
zu immer neuen Produktionssteigerungen sowie zur Erfindung immer neuer
Methoden der Vernichtung ökonomischer Substanz gezwungen, um in der
Gesamtbilanz wenigstens noch eine marginale Verwertungsrate ausweisen
zu können. Diese produktive Destruktion reicht von der Wegwerfproduktion
bei Haushaltsartikeln bis zur überflüssigen Hochrüstung
durch Waffensysteme und Weltraumstationen, deren Teleskope sich auf die
irdischen Debakel eines kapitalökonomischen Wachstumswahns und auf
das darunter begrabene menschliche Elend richten.
So steuert die Kapitalwirtschaft
die gesellschaftlich-geschichtliche Entwicklung schließlich in ein
ökonomisches, ökologisches und soziales Desaster, das wir hautnah
erleben, in relative Überproduktion, Massenarbeitslosigkeit, Staatsverschuldung,
Umweltzerstörung, Verwertungskrisen und Wirtschaftskriege.
Ist nun aber überhaupt noch eine
andere Wirtschaftsweise denkbar und real möglich? Die gesuchte konkrete
Alternative setzt auf dem erreichten Niveau der materiellen Produktivkräfte
auf: Es gibt die industrielle Warenproduktion, die durch eine Symbiose aus
Maschinerie und Informatik, Wissenschaft und Management ein höchstes
Produktivitätsniveau aufweist. Auf diesem Niveau erfordert eine gesteigerte
Produktion eher weniger, aber nicht mehr Arbeitseinsatz. So ist nur noch
ein Teil des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens im Regiebereich der
industriewirtschaftlichen Warenproduktion beschäftigt.
Zugleich betätigt sich
ein wachsender Teil des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens in sozialwirtschaftlichen
Bereichen. Dazu gehören Aufgaben der Erziehung, Bildung und Ausbildung,
der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege, die Aufrechterhaltung
der Infrastrukturen des wirtschaftlichen und alltäglichen Lebens,
z.B. Energieversorgung, Städtebau, Verkehrswesen und Kommunikationsmedien,
auch die Kulturpflege, die Organisation der Wohlfahrt, das Gesundheitswesen
und die Altenpflege. Auch Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in gesellschaftlichem
Auftrag sind hinzuzurechnen. Selbst landwirtschaftliche oder industrielle
Produktionen können als Bestandteil einer sozialwirtschaftlichen
Ökonomik betrieben werden, beispielsweise zur Sicherung einer Grundproduktion
oder Entwicklung einer Schlüsseltechnologie.
Was hier das Sozialwirtschaftliche
genannt wird, ist zwar ursprünglich verankert in Naturalformen: Das
Produkt der Erziehungs-, Bildungs- oder Gesundheitsarbeit ist das erzogene,
gebildete oder gesunde gesellschaftliche Individuum. Dabei handelt es
sich von vornherein nicht um eine akkumulationsfähige Ware. Es kommt
aber entscheidend darauf an, das Sozialwirtschaftliche als eine spezifische
historische Formbestimmtheit des Ökonomischen zu begreifen.
Die Genesis der Sozialwirtschaft
liegt in der Tendenz zum Anwachsen und zur Ausformung von entsprechenden
Bereichen der Produktion und Leistung jenseits der industriellen Warenproduktion
samt darauf bezogener Dienstleistungen, die sich diesem Sektor in anderer
Weise anlagern, als sein Gegenpol konstituieren und schließlich
damit in systemisch notwendige Wechselbeziehungen treten. Ein Gedankenexperiment
kann den entscheidenden Punkt verdeutlichen.
Stellen wir uns eine Gesellschaft
vor, die sogar nur noch 10 Prozent des Arbeitsvermögens in der industriewirtschaftlichen
Warenproduktion benötigt, während 90 Prozent im Bereich sozialwirtschaftlicher
Dienste beschäftigt sein sollen. Die 10 Prozent arbeiten mit einem
automatischen Produktionsaggregat, das seinen eigenen Verschleiß
ersetzt und insofern aus der weiteren wertökonomischen Betrachtung
ausgeblendet werden kann. Diese Abteilung erzeugt darüber hinaus
in zwei Portionen die für die Beschäftigten beider Bereiche
notwendigen Konsumwaren. Zwecks Reduktion auf den Problemkern soll in
dieser szenisch-analytischen Versuchsanordnung zunächst angenommen
werden, für die sozialwirtschaftlichen Tätigkeiten in der zweiten
Abteilung würden keine besonderen Produktionsmittel benötigt.
So sollen also die dortigen 90 Prozent der Arbeitenden beliebige, für
gesellschaftlich notwendig und nützlich geltende Dienste verrichten.
Für dieses Arrangement
stellt sich nun die wissenschaftliche Rätselfrage: Wie können
beide Abteilungen in eine dauerhafte gesellschaftliche Reproduktionsbeziehung
eintreten, d.h. ihre Leistungen korrekt zu Arbeitswerten tauschen bzw.
verrechnen, aus ihren Einkommen den Lebensunterhalt bestreiten und ohne
Defizite bilanzieren, wenn doch auf der einen Seite eine permanent erzeugte
Wertmasse von 10 und auf der anderen Seite eine Wertmasse von 90 steht?
Das mit dieser Versuchsanordnung
gestellte Problem ist mit keinem herkömmlichen wirtschaftswissenschaftlichen
Ansatz lösbar. Die Szenerie drückt das auch real zunächst
unlösbare Dilemma aus, in das die kapitalwirtschaftliche Entwicklung
tendenziell führt: Innere Umschichtungen im Reproduktionsgefüge
zeigen in die angenommene Richtung und führen zu einem in seinem
wahren Grund zunächst verborgenen gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewicht.
In diesem Ungleichgewicht prallen Prozeßautomatisierung und Überproduktion
auf der einen Seite mit Massenarbeitslosigkeit und sozialer Mangelwirtschaft
zusammen. Der Staat versucht die zunehmenden Lücken in der ökonomischen
Gesamtbilanz durch immer höhere Verschuldung zu überbrücken.
Das potentielle sozialwirtschaftliche Arbeitsvermögen oder die potentielle
gesellschaftlich freie Zeit erscheinen in der Form der Millionenarbeitslosigkeit.
Gibt es aber eine andere Auflösung der vorhandenen realen Antinomien?
Die Lösung des Problems
beginnt mit der zunächst befremdlichen Annahme, daß das Arbeitswertprodukt
in der Sphäre der Warenwirtschaft nicht 10, sondern aus einem verborgenen
Grund 100 beträgt. Die fehlende Wertgröße kommt zum Vorschein,
wenn dieser Wirtschaftsabteilung von einer dazu befugten gesamtgesellschaftlichen
Vertretungskörperschaft eine Abgabe auferlegt wird, nennen wir sie
eine Sozialwertsteuer. Den Maßstab für die Höhe dieser
Abgabe soll die gleichzeitig im Bereich der sozialwirtschaftlichen Dienste
verausgabte Arbeit liefern: In diesem Fall 90. Mit der in dieser Größe
erhobenen Warenwertabgabe können dann, vermittelt durch entsprechende
gesellschaftliche Organe, über deren Finanzhaushalte und Wirtschaftspläne,
die Tätigkeiten im Reproduktionssektor der sozialwirtschaftlichen
Dienste voll finanziert werden. Das Einkommen der dort Tätigen entspricht
bei der angenommenen gesellschaftlichen Gesamtkalkulation der von ihnen
verausgabten, wertsetzenden Arbeit. Sie können mit diesem Einkommen
ihren Unterhalt voll bestreiten und tun dies, indem sie Konsumwaren kaufen.
Gleichzeitig fließt damit aber jene Wertmasse in Geldform an die
industrielle Warenwirtschaft zurück, die diese für ihre zunächst
widerwillig entrichtete Sozialwertsteuer benötigte. Die erste Abteilung
wird so durch die Höhe der Abgaben an sich nicht beeinträchtigt:
Der gesellschaftlich notwendige Wertransfer erscheint ihr praktisch wie
ein durchlaufender Posten. Allen Gesellschaftsmitgliedern könnte
aber die Aneignung sozialwirtschaftlicher Leistungen, wie heute der Schulbesuch
oder die Autobahnbenutzung, im Prinzip umsonst beziehungsweise gegen eine
Schutz- und Sozialgebühr gewährt werden.
Die der skizzierten Praxisformierung
zugrunde liegende ökonomische Gesetzmäßigkeit kann als
‘Wertgesetz der sozialwirtschaftlichen Reproduktion’ formuliert werden:
In der neuen Wirtschaftsweise tritt der im Bereich sozialwirtschaftlicher
Dienste durch die Verausgabung von Arbeit erzeugte Wert - durch einen
hinter dem Rücken der Produzenten versteckten Prozeß - primär
im warenwirtschaftlichen Bereich zutage. Er bildet dort zunächst
eine verborgene, latente Größe, die den dort hergestellten
Waren gleichsam unsichbar anklebt. Diese muß durch eine gesellschaftliche
Veranschlagung zur Erscheinung gebracht werden. Die in der Warenproduktion
zu erhebende Sozialwertsteuer erhöht erst den sichtbaren Kostpreis
der warenwirtschaftlichen Produktion auf das Niveau ihres eigentlichen,
in dieser ökonomischen Gesamtprozeßordnung mit innerer Notwendigkeit
geltenden gesellschaftlichen Werts. Mit der Umwandlung des entsprechenden
Anteils davon in Einkommen der sozialwirtschaftlichen Dienste kommt diese
Reproduktionsordnung zu gesicherter Beschäftigung und ungebrochener,
zwangloser Entwicklungsfähigkeit, ohne daß in der gesellschaftlichen
Wertbilanz systembedingte Ungleichgewichte und Brüche auftreten.
Wie vordem die ständige
Akkumulation ist jetzt das Anwachsen des Werttransfers und gesamtgesellschaftlicher
wirtschaftlicher Funktionen ein Tendenzgesetz der späten Kapitalwirtschaft
oder beginnenden Sozialwirtschaft. Es findet seinen Ausdruck bereits heute
in der wachsenden Rolle, die der moderne Staat als Steuer-, Haushalts-
und Finanzinstitut spielt.
Der heraufkommende neue Reproduktionstyp
erfordert zwingend die Dazwischenkunft einer gesamtgesellschaftlichen
Erhebungs- und Vermittlungsinstanz: Ein direkter Warenaustausches zwischen
den beiden Reproduktionsabteilungen wäre letztlich wegen der völligen
Disproportionalität von Angebot und Nachfrage unmöglich. Abgesehen
davon sind die Resultate der sozialwirtschaftlichen Dienste ihrem Wesen
nach von vornherein keine Waren, so daß es schwerlich praktikabel
wäre, sie als solche zu behandeln. Beispielsweise ist es unmöglich,
die Dienstleistung der kommunalen Selbstverwaltung als marktfähige
Ware zu behandeln. Es bleibt genauso sach- und sinnwidrig, Hochschulen
oder Pflegeheime in der Form von Aktiengesellschaften zu betreiben. So
ist es sozialwirtschaftlich geboten, Vertretungs-, Gebiets- und Vollzugsorgane
der Wirtschaftsgesellschaft auf allen Ebenen und in allen Bereichen aufzubauen,
damit diese den geschöpften Sozialwert möglichst sinnvoll zur
Finanzierung sozialwirtschaftlicher Dienste zurückvermitteln. Deren
Organisationsform kann dabei ein ganzes Spektrum umfassen, das sich von
einer öffentlichen Wirtschaftsverwaltung über gemeinwirtschaftliche
Unternehmungen bis hin zu Genossenschaften, Zweckverbänden, Vereinen
und Stiftungen erstreckt.
In der skizzierten Wirtschaftsform
drückt ökonomischer Wert, seinem objektiven Sinn nach und ohne
die alte kapitalwirtschaftliche Verklausulierung, gesellschaftliche Arbeitszeit
aus. Das neue Arrangement der Reproduktionskreise setzt zugleich ein neues
ökonomisches Kalkül jenseits des kapitalwirtschaftlichen Raub-
und Krebskalküls in Kraft. Die der neuen Wirtschaftweise einprogrammierte
Zielfunktion liegt nämlich nicht mehr in einer Erhaltung und Akkumulation
von ‘toten’ Kapitalwerten. Sie liegt in der Expansion ‘lebendiger’ sozialwirtschaftlicher
Dienste und gleichzeitig möglichen allgemeinen Verminderung der gesellschaftlich
notwendigen Arbeitszeit. Letztlich kann sich im neuen Arrangement an die
Stelle des unsichtbar treibenden Mehrwert-Kalküls der Kapitalwirtschaft
ein Ersparnis-Kalkül setzen, das seinen subjektiven Ausdruck in einer
entsprechenden rationellen Wirtschaftsrechnung und Dispositionsweise findet.
In der einfachen äußeren
Anschauung stelt sich der neue Ökonomietyp schließlich als
ein Mischtyp dar: Die weiter durch Marktmechanismen mitvermittelte industrielle
Warenproduktion ist in einen Mantel sozialwirtschaftlicher Dienste eingehüllt,
während der notwendige Werttransfer zwischen beiden Bereichen, insbesondere
die Wertzuweisungen für die einzelnen Bereiche der gesellschaftlich
angeforderten sozialwirtschaftlichen Dienste, von entsprechenden Organen
besorgt wird.
Die Sozialwirtschaft, deren Konstitutionsprinzip
zunächst nur auf der abstraktesten Stufe, in einem Gedankenexperiment
und auf den ersten Blick vielleicht so unscheinbar wie Edisons Glühfaden
aufleuchtete, ist nicht als eine bloße Forderung an die Zukunft zu
verstehen. Die Theorie liefert vielmehr den Ariadnefaden in dem Labyrinth
moderner ökonomischer Phänomene. Unter der Decke stellt die Sozialwirtschaft
eine bereits vorhandene, wirkmächtige ‘Realität in Latenz’ dar.
Kapitalwirtschaft und Sozialwirtschaft sind heute zwei gleichzeitig in Vollzug
gesetzte Praxisperspektiven, von denen allerdings die eine noch dominiert
und das Sagen über die andere hat.
Sozialwirtschaftliche Dienste
und ein sozialwirtschaftlicher Werttransfer existieren bereits: Wenn die
offizielle Staats- und Sozialquote bei uns etwa mit 35 Prozent angegeben
wird, so ist der implizite oder potentielle sozialwirtschaftliche Anteil
mit Sicherheit höher anzusetzen. Entsprechend macht sich das sozialwirtschaftliche
Wertgesetz bereits geltend: Die wachsende Staatsschuld ist ein kapitalwirtschaftlicher
Ausgleichsversuch gegen die dadurch ausgelöste Transformationstendenz.
Die zumeist sich erhebende
Frage: Wer soll die sozialwirtschaftlichen Dienste in Zukunft finanzieren?
ist also durch die Theorie der Sozialwirtschaft bereits beantwortet. Die
im Bereich der Warenwirtschaft zu erhebende Transferquote entspricht einer
wirklich vorhandenen Wertgröße, die auf Grundlage der kapitalwirtschaftlichen
Wert- und Wirtschaftsrechnung nicht oder falsch gemessen wird. Die Sozialwertsteuer
fließt dem industriewirtschaftlichen Bereich über die Nachfrage
der sozialwirtschaftlichen Dienste wieder zu.
Wenn der gesamtökonomische
Kreislauf so organisiert wird, kann sich praktisch die Eingangsthese bestätigen,
daß wir im Grunde nicht an ökonomischen Mangelzuständen
leiden. Wir leiden unter der historisch überlebten, zunehmend dysfunktionalen
Reproduktionsanordnung der Kapitalwirtschaft und unter deren Krebskalkül.
Der Ausweg liegt in einem sozialwirtschaftlichen Umbau der gesellschaftlichen
Reproduktionskreise. Dieser Umbau muß steuer-, haushalts- und finanzpolitisch
untermauert werden und Hand in Hand gehen mit einer entsprechenden Restrukturierung
und Implementierung von ökonomisch handlungsfähigen gesellschaftlichen
Organen von der betrieblichen und kommunalen bis zur gesamtgesellschaftlichen
Ebene.
Die skizzierte, heute möglich erscheinende
ökonomisch-gesellschaftliche Transformation stellt letztlich die einzige
realistische Gegenbewegung gegen die kapitalwirtschaftiche Globalisierung
dar. Diese ist weder eine naturgeschichtliche Tendenz noch eine Pioniertat
der Zivilisierung, sondern Resultat einer ökonomischen Zwangshandlung,
fundiert im Krebskalkül der kapitalwirtschaftlichen Produktionsweise.
Dieser Charakter prägt die weltwirtschaftliche Entwicklung und die
Weltmarktbeziehungen von heute.
Die Globalisierung, d.h. die
Verwandlung der einzelnen Gesellschaftsverbände in Werkbänke
und Marktsegmente für internationale kapitalwirtschaftliche Abenteuer,
ist aber ein historisch im Grunde bereits überholtes Unternehmen:
Die Entwicklung der Warenproduktivität versetzt immer mehr Gesellschaften
in die Lage, ihren entsprechenden materiellen Grundbedarf selbst zu decken.
Ihnen ist damit Spielraum für eine mögliche sozialwirtschaftliche
Transformation gegeben: Die kapitalwirtschaftliche Explosion der Produktivkräfte
wird konterkariert durch einen sich nach innen richtenden Entwicklungsschub,
der bis auf die untersten Ebenen einen Zuwachs produktiver Kräfte
erzeugt. Diese Implosion der Produktivkräfte unterminiert zunehmend
die Zentralisationen, die Globalisierung, den Supranationalismus und leitet
eine Übergangsepoche ein.
Letzten Endes werden vielfache
Ansätze und Möglichkeiten einer vernünftigen wirtschaftsgesellschaftlichen
Selbstorganisation zutage treten, die in einem schreienden Widerspruch
zu den Absurditäten und Destruktionsakten des sogenannten freien
Welthandels und der auf dieser Basis global agierenden Kapitalwirtschaft
stehen. Diese Entwicklung kommt der geforderten Politik einer sozialwirtschaftlichen
Transformation entgegen. Die unmittelbare Forderung nach Emanzipation
der sozialwirtschaftlichen Dienste mündet so letztlich in eine Politik
der inneren sozialwirtschaftlichen Transformation und gleichzeitigen wirtschaftsgesellschaftlichen
Konsolidierung nach außen.
Wer im Gegensatz zu dieser
Kursbestimmung weiter auf eine vermeintliche Regenerations- und Modernisierungsfähigkeit
der Kapitalwirtschaft setzt, wer darauf setzt, daß nur mehr sogenanntes
‘Wachstum’ zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führt, daß
‘die Wirtschaft vom Export lebt’, wird sich übermorgen vor einem
Millionenheer von Arbeitslosen als Sozialbankrotteur wiederfinden, und
zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit in einer von der Krebsökonomie
und ihren monströsen Ausgeburten gründlich dehumanisierten und
deformierten Welt.
So stehen wir also am Beginn
einer langwährenden Auseinandersetzung über zwei mögliche
Entwicklungspfade der Zivilisation. In dieser geschichtlichen Situation
gibt es aber ohne ein konkreteres Bewußtsein über die real
mögliche Alternative weder die Freiheit der Entscheidung noch ist
überhaupt eine bessere Zukunft zu gewinnen.
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