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Zur Aktualität ausgewählter
Aspekte des Werks Herbert Marcuses
Aufsatz
von Christian Fuchs, Technische Universität Wien
Abstract
Ziel dieser Arbeit ist die Diskussion ausgewählter Aspekte des Werks Herbert
Marcuse in Bezug auf den postfordistischen, neoliberalen, informationsgesellschaftlichen
Kapitalismus. Während die materiellen Bedingungen einen unmittelbaren
Übergang ins Reich der Freiheit immer näher zu legen scheinen, setzt sich
die eindimensionale Gesellschaft immer stärker ins Bewusstsein der Menschen
fort. In dieser Situation globaler Krise und Ohnmacht sind Marcuses dialektische
Begriff von Technik, Demokratie und Kultur entscheidend. Ebenso Marcuses
Dialektik der Befreiung. Während Befreiung subjektiv infolge von Verbürgerlichungsprozessen
immer unwahrscheinlicher zu werden scheint, wäre sie objektiv naheliegend.
Gerade heute sind Marcuses Utopismus und seine Philosophie der Praxis
von wesentlicher Bedeutung. Die Suche nach potentiellen revolutionären
Subjekten und die Stärkung deren Selbstorganisation sind Aufgabe einer
dialektischen Einheit von Theorie und Praxis. Noch immer gilt eine von
Marcuses wesentlichen Thesen, nämlich dass wir "zwischen zwei einander
widersprechenden Hypothesen schwanken: 1. dass die fortgeschrittene Industriegesellschaft
imstande ist, qualitative Änderung für die absehbare Zukunft zu unterbinden;
2. dass Kräfte und Tendenzen vorhanden sind, die diese Eindämmung durchbrechen
und die Gesellschaft sprengen können. Ich glaube nicht, dass eine klare
Antwort gegeben werden kann."
Einleitung: Theorie und Praxis
Die komplexe
Einheit von Theorie und Praxis wird von Linken heute häufig auf eines
der beiden Elemente reduziert. Entweder wird davon ausgegangen, dass Theorie
nicht notwendig ist, da emanzipatorische Politik ausschließlich praktisch
möglich ist, oder die Möglichkeit, Theorie in Praxis zu übersetzen, wird
als aussichtslos erachtet. Beides erscheint uns jedoch verkürzt. Die Voraussetzung
jeder politischen Praxis ist eine Theorie, die diese entwirft und
ihre Möglichkeiten verdeutlicht. Theorie bleibt andererseits wirkungslos,
wenn sie nicht auf konkrete gesellschaftliche Kämpfe bezogen wird
und darin eingeht..
Herbert Marcuse hatte das
Verhältnis von Theorie und Praxis als dialektisch erkannt. Ein kritisches
praktisches Handeln muss wissen, worauf es sich bezieht, was es verändern
will und wogegen bzw. wohin eine Aufhebungsbewegung stattfinden soll.
Und eine Theorie, die nicht die geschichtlichen Gegebenheiten darlegt,
sich also nicht permanent weiterentwickelt, ist für eine Praxis untauglich.
„Eine Theorie, welche die Praxis des Kapitalismus nicht eingeholt hat,
kann schwerlich eine Praxis anleiten, die darauf abzielt, den Kapitalismus
aufzuheben“ (Marcuse 1972, S. 40). Eine kritische Theorie der Gesellschaft
kann die Rolle spielen, bestehende Verhältnisse und die Möglichkeit deren
Veränderung zu verdeutlichen. Was sie leisten kann, ist das Bewusstmachen
der Möglichkeiten, zu denen die geschichtliche Situation selbst herangereift
ist. Sie umfasst immer auch die Anregung zur Phantasie, denn als Einbildungskraft
bezeichnet diese „einen hohen Grad der Unabhängigkeit vom Gegebenen, der
Freiheit inmitten einer Welt von Unfreiheit. Im Hinausgehen über das Vorhandenen
kann sie die Zukunft vorwegnehmen“ (Marcuse 1937a, S. 122). Kritische
Theorie kann verdeutlichen, zu welchen Möglichkeiten die historische Situation
herangereift ist, und sie kann einen Begriff davon liefern, wie sich die
praktisch in Frage gestellten Strukturen und Verhältnisse und damit auch
die Bedingungen für gesellschaftlichen Wandel und damit für politische
Praxis verändern. Kritische Theorie „hat eine antizipierende, kritische
Qualität. Auf Grund der Analyse der gegebenen Gesellschaft projiziert,
entwirft die Theorie mögliche Praxis. [...] Sie bestimmt das Allgemeine
im Besonderen; sie bringt die unmittelbaren, konkreten Erscheinungsformen
der gegebenen Gesellschaft auf ihren Begriff, und sie begreift Tendenzen,
die in der Praxis abgebogen und blockiert werden können“ (Marcuse 1975,
Theorie und Praxis, S. 143).
Theorie ist notwendig, um
„die Welt zu begreifen“, in der wir leben – „sie im Hinblick auf das zu
verstehen, was sie dem Menschen angetan hat und was sie dem Menschen antun
kann“ (Marcuse 1967, S. 198). Kritische Theorie unterscheidet sich auch
sprachlich von der Wirklichkeit, denn diese ist wesentlich geprägt durch
eine herrschende, eindimensionale Sprache, die komplexe Zusammenhänge
nicht adäquat darstellen kann (vgl. ebd., S. 207f). Indem die Rationalität
des Irrationalen und die Irrationalität des Rationalen in der bestehenden
Gesellschaft aufgedeckt wird, wird kritische Theorie praktisch: „Das kritische
Denken ist bestrebt, den irrationalen Charakter der bestehenden Rationalität
(der immer offenkundiger wird) und die Tendenzen zu bestimmen, die diese
Rationalität dazu veranlassen, ihre eigene Transformation hervorzubringen“
(ebd., S. 238).
Gerade auch in der heutigen
Phase des Kapitalismus, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse immer
prekärer werden, die materiellen Voraussetzungen der Befreiung aber naheliegend
wären, gleichzeitig den Menschen radikaler sozialer Wandel aber immer
gleichgültiger und die bestehende Totalität immer selbstverständlicher
zu werden scheint, ist eine Vermittlung von Theorie und Praxis von großer
Bedeutung. Die Kritische Theorie Herbert Marcuses hat durch die Krise
der Gesellschaft, die auch Krise der Linken und des Marxismus ist, nicht
an Aktualität verloren. Ganz im Gegenteil, durch den Zusammenbruch des
Sowjetsystems hat sich nicht gezeigt, dass der Kapitalismus die bessere
Alternative ist, sondern dass sowohl Staatssozialismus, als auch die Formen
des westlichen Kapitalismus eine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung
nicht garantieren können. Von letztem zeugt die Ausdehnung der globalen
Probleme und die anhaltende Krise des Weltsystems. Die Überlegungen von
Marcuse (und auch jene von Marx) sind in dieser Situation der gesamtgesellschaftlichen
Krise wesentlich, wenn eine Transformation hin zu einer Gesellschaft stattfinden
soll, die den Menschen ein humanes Auskommen bietet.
Marcuses Werk ist
dabei in vielerlei Hinsicht relevant. Ich möchte an dieser Stelle vier
Aspekte herausgreifen, die mir persönlich besonders wichtig sind und deren
Aktualität diskutieren. Es gäbe weitere, die hier allerdings nicht berücksichtigt
werden können. Aufgreifen möchte ich Aspekte über
- Technik und Utopie
- revolutionäres Subjekt
- Demokratie und Faschismus
- Kultur
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den Autor: christian@igw.tuwien.ac.at
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