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Vom Umbau zur Heimat im Geiste
der Musik
Produktives
Verrücken - Einweihung des Ernst-Bloch-Zentrums in Ludwigshafen
Wir zitieren aus dem
Freitag, wo dieser Artikel erstveröffentlicht
wurde.
Aus Zusammenkünften zwischen großen alten Denkern und jüngeren Bewunderern
kommt meistens nicht viel«, dachte sich der diesjährige Bloch-Preisträger
Eric J. Hobsbawm, als er als 44-jähriger Ernst Bloch traf. Hoffnung kann,
wie wir übrigens nicht zuletzt von Bloch wissen, bitter enttäuscht werden.
Und dann, urphilosophischer als Hoffnung, kommt plötzlich doch noch alles
anders, hier in einem Londoner Hotelzimmer, 1962. Der große Dirigent Otto
Klemperer empfing Bloch, den Jugendfreund. Es ging um Musik, Hobsbawm
war stiller Zuhörer und staunender Zeuge zweier alter Titanen, die sich
durch ein langes Leben gebrochener Illusionen den Glauben an die Menschheit
bewahrt hatten.
Auch von Einweihungen oder
Eröffnungen ist meistens nicht viel zu erwarten, zumal wenn der Ort nur
zweitklassig erscheint. Zur Vorgeschichte: Bloch übersiedelt nach Tübingen,
ist als Dissident ein Medienstar, wird von den Wogen des Mai '68 als väterlicher
Bewegungsweiser oben gehalten. Noch gilt er - neben Heidegger - als der
berühmteste lebende deutsche Philosoph. Aber schon kurz nach seinem Tod
1977 zeigt sich, dass sich an ihm die Geister scheiden. Trotz aller Preise,
der in der DDR verstoßene Marxist und streitbare Demokrat kommt auch in
dieser Republik nie ganz an. Selbst den Getreuen, die ihm philosophisch
zu folgen bereit sind, ist der bis weit in die Theoriebildung hineingetriebene
militante Optimismus oft nicht ganz geheuer. Noch gibt es zwar unter den
energischen Auspizien von Blochs Frau Karola in Tübingen ein kleines Archiv
mit Handschriften und Tondokumenten. Doch als sie stirbt und, einer Umfrage
zufolge, in Tübingen keiner der Professoren zur Bloch-Forschung bereit
ist, wandert der gesamte Nachlass in Blochs Geburtsort. Ludwigshafen ist
zwar stolz auf den großen Sohn, macht ihn zum Ehrenbürger (nur böse Zungen
behaupten: mangels Alternative) und hatte schon früh und engagiert mit
dem Sammeln begonnen; das Bloch-Archiv feierte jüngst seinen 20. Geburtstag.
Aber forschungsmäßig scheint Bloch in der Diaspora angelangt.
Nun, zur Einweihung des Ernst-Bloch-Zentrums,
scheint der Festvortrag vorsichtig bestätigen zu wollen, dass Bloch dort
gut aufgehoben sei. Würden wir in Arkadien, Schauplatz glückseligen idyllischen
Landlebens, würden wir in einem industriell nachgebesserten Garten Eden
nicht weiterhin »nach Utopien schmachten«? Kann denn - und der Nürnberger
Kulturwissenschaftler Hermann Glaser zählt eine lange Reihe aktueller
Probleme vom beschleunigten Lebensrhythmus bis zum Menschenpark der Genzüchter
auf - kann uns Bloch denn mehr als schöne Märchen erzählen? Dieses, so
sein kulturpessimistischer Schluss, müsse noch ergänzt werden durch den
Mut zum glücklichen Beharren im Heillosen: »Man muss sich den Sisyphos
als glücklichen Menschen vorstellen.« Bei aller Farbe im Vortrag, das
waren hinlänglich bekannte Vorbehalte, die auch der Förderpreisträger
Navid Kermani, als kritischer Islamwissenschaftler ob Blochs neugieriger
Affinität zu fremden Religionen an sich eine kluge Wahl, mit einer phantasielosen,
etwas weinerlichen Klage verlängerte: Seine Generation (Jahrgang 1967)
sei »zu alt geworden«, so dass ein Prinzip Hoffnung voller Jugend sie
nicht mehr unmittelbar anzusprechen vermöge.
Die Jury, die den Ernst-Bloch-Preisträger
2000 erkor, hat mit dem 1933 aus Berlin nach London emigrierten Eric J.
Hobsbawm einen marxistischen Historiker ausgewählt, der weit über Parteigrenzen
hinweg international anerkannt ist. Seine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus
im Zeitalter der Extreme zeige ein »spannungsreiches, korrigierendes,
aber gleichwohl nicht einfach ablehnendes Verhältnis zu Blochs Hoffnung«.
Hobsbawm, der erste Rezensent des Blochschen Prinzip Hoffnung im englischen
Sprachraum und durch sein Buch über »Sozialrebellen« ein natürlicher Verbündeter
- ebenfalls ein Warner vor dem Heilsretter Bloch? Überraschenderweise
wollte er diese vermeintliche Distanz so nicht stehen lassen. Vielmehr
nehme man heute doch als selbstverständlich, dass die »Grenze zwischen
dem Möglichen und bisher Unmöglichen jeden Tag überschritten« werde. Er
stimme mit Bloch Oscar Wilde zu: »Eine Weltkarte, auf der das Land Utopia
fehlt, taugt nichts.« Leider gebe es aber gute und böse Utopien - zu den
guten gehöre der Glaube an die universalen Werte der Aufklärung, und die
müsse für alle Menschen gelten.
In der Tat, wer schreibt denn
vor, man müsse sich von Blochs angeblicher Heilslehre kurieren lassen?
Wer zwingt diese akademisch geborene Leseweise auf? Kein Geringerer als
Emanuel Lévinas notierte einmal mit Sympathie, Bloch interpretiere den
Stoff der Hoffnung mit einer Freude, als schriebe er die Partitur für
ein Orchester, das alle Genies der Erde vereint. Nimmt man die Eröffnungstage
insgesamt zum Maßstab, so hat sich das Bloch-Zentrum eher diesem weiteren
und letztlich bescheideneren Programm verschrieben. Blochs wenig museales
Arbeitszimmer unter Glas scheint zu sagen: Aus diesem zerschlissenen Ohrensessel,
der in keinem Sperrmüll der Welt auffiele, lässt sich die Welt erkunden.
Forschung darf uns auch computerunterstützt erst einmal die Zitate verifizieren,
die Bloch im Prinzip Hoffnung schnell und manchmal schlau verändert von
den Karteikarten kopierte. Heilslehre ist gut, aber Zivilcourage ist gefragt.
Ein kleiner Band mit Aphorismen für alle: Signale eines fröhlich-unverbrauchten
Aufbruchs.
Eröffnungsabend: Bloch, Hanns
Eisler und Bertolt Brecht sind auf der Bühne. Es erklingen die Weißbrot-
und die Reissonate, entstanden in Brechts dänischem Exil. Bloch lobt die
»Liquidation des Überflüssigen«, »stählerner« Ausdruck der neuen Lebensformen,
Musik, die »kühn« ist, ohne esoterisch zu sein«. Eine junge unverbildete
Frauenstimme schmettert »ganz ohne Sopranbrunst« sozialistische Texte.
Das war 1938, USA.
Szenenwechsel: Leipzig, der
70. Geburtstag von Ernst Bloch. Der 17. Juni 1953 ist gerade zwei Jahre
alt. Die drei parteilosen Marxisten, immer noch Vorzeigeintellektuelle
des sozialistischen deutschen Staats, treffen sich erneut. Brecht und
Eisler haben ein Lied mitgebracht. Die Musik klingt weiter stählern, über
dem Text liegt schon Brechts leise lächelnder Sarkasmus. Die Burschen,
die ihre Mädchen legten, versicherten sich, ob »sich die Lippen öffnen
und die Brüste regen / Damit sie wissen: Was und Wann?« Den Staatenlenkern
empfiehlt er beißend-freundlich, doch bitte ebenfalls zu prüfen: »Was
und Wann? / Auf die Straße geht und seht: Wie der Wind weht.« Ein Theaterstück,
hier am Punkt der Krisis angelangt, müsste seiner Auflösung entgegensteuern.
Im Ernst-Bloch-Zentrum erklingt der Stoff dagegen als »Konzertcollage«
- Eislermusik mit Blochbezug, Dokument gegenseitiger Befruchtung - lückenhaft,
sicher. Eben: der Phantasie Platz lassend.
»Wir regen uns, sind warm und
scharf.« Bekanntlich drängt Blochs philosophischer Gesamtentwurf stets
von ersten überraschten Notizen zufälliger Befindlichkeit aus nach vorn,
als klangreicher, teils hell, teils dunkler, zuweilen unheimlicher Bogen.
Nach dem großen Durchgang durch das Andere der äußeren Natur mündet er
in das furiose Finale, uralt und neu zugleich: »Hat der die Gegebenheiten
umbildende und überholende Mensch sich erfasst und das Seine ohne Entfremdung
in realer Demokratie begründet, entsteht in der Welt etwas, das allen
in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«
Natürlich konnte die seltsame
(und seltsam aktuelle) Quintessenz der Blochschen Philosophie am Ort seiner
realen Geworfenheit nicht fehlen. Sie zog sich durch Grußworte und Festreden
und führte gelegentlich zu dem, was Bloch schon zu Lebzeiten geärgert
hatte: zu Kitsch und Schwulst. Aber dieses Mal eben nur sehr am Rande.
Verrückt-verrückende Impulse dagegen kamen noch einmal von der Musikzunft.
Wolfgang Hufschmidt las Anfang und Ende des Prinzip Hoffnung als angewandte
Schönbergsche »Technik der entwickelnden Variationen« und legte eine Vertonung
gleich nach: Schritt für Schritt gewinnt ein einfaches Motiv zunehmend
an Komplexität. »Es ist ein Überholend-Unabgeschlossenes in der Musik«,
stärkt Bloch den Verdacht, »dem noch keine Poesie genug tut, es sei denn
diejenige, welche die Musik, möglicherweise, aus sich entwickelt«.
Ein neuer Schlüssel zur ungelösten
Systemfrage in Blochs Hauptwerk, aus der erzsystematischsten der Künste?
Vielleicht. Die Frage allein ist ein starkes Argument für die Diaspora.
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Beitrag |
von
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Ulrich |
Müller-Schöll |
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