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III.
Am Anfang des Blochschen
Werkes steht der schwärmerische Ruf nach einem neuen Leben, einem
neuen Menschen. "Es ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere
Hände ist das Leben gegeben. Für sich selber ist es längst
schon leer geworden. Es taumelt sinnlos hin und her, aber wir stehen fest,
und so wollen wir ihm seine Faust und seine Ziele werden."
So fängt das erste große Werk "Geist der Utopie"
an, das als ekstatisches, vom Expressionismus geprägtes Frühwerk
katalogisiert und gleichsam abgefertigt worden ist. Wobei häufig
vergessen wird, daß Bloch schon hier der ekstatische Ruf durchaus
nicht genügt; so subjektivistisch, so schwärmerisch "Geist
der Utopie" auch daherkommt, schon hier versucht Bloch, objektiven
Boden unter die Füße zu bekommen, spottet über die "Posse"
einer Weltverbesserung nur aus den Tiefen des Gemüts, fordert die
scharfe Analyse der Realität als Komplement zum reinen Wünschen,
einen Begriff von dem, was wir wollen. Dieser Begriff fehlt, und dafür
hat Bloch eine an dieser Stelle recht verblüffende Erklärung:
"Das macht, wir haben keinen sozialistischen Gedanken."
Sozialismus ist hier
freilich kaum mehr als eine Vermengung eines romantisierten Brüderlichkeits-Ideals
der Aufklärung mit christlichen Ökumene-Gedanken. "Wir
bringen der Gemeinde nicht mit, weswegen sie sein soll, und deshalb können
wir sie nicht bilden. Wir haben Sehnsucht und kurzes Wissen, aber wenig
Tat und was deren Fehlen mit erklärt, keine Weite, keine Aussicht,
keine Enden, keine innere Schwelle, geahnt überschritten, keinen
utopisch prinzipiellen Begriff. Diesen zu finden, das Rechte zu finden,
um dessentwillen es sich ziemt, zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu
haben, dazu gehen wir, hauen wir die phantastisch konstitutiven Wege,
rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein
und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das bloß Tatsächliche
verschwindet - incipit vita nova."
Die Stelle aber, an der all das "Ins Blaue hinein" konkret wird,
der Ankerplatz für die Suche nach der sozialistischen Brüdergemeinde
ist für Bloch die Oktoberrevolution.
Ärgerlich ist
für ihn zwar, daß im Namen von Karl Marx ausgerechnet in Rußland
eine siegreiche Revolution stattfindet, aber er setzt einige Hoffnung
darein, daß nach Ende des Krieges die "demokratische Sozialisierung
in Deutschland herrlicher noch als in Rußland"
siegen werde. Und zwar nicht als Resultat einer proletarischen Revolution,
sondern eines Erwachens des jüdischen Messianismus. "In unserem
tiefsten noch namenlosen Inneren schläft der letzte, unbekannte Christus,
der Kälte-, Leere-, Welt- und Gottbesieger, Dionysos, der ungeheure
Theurg, von Moses geahnt, von dem milden Jesus nur umgeben, aber nicht
verkörpert."
Der deutsche "Philosoph
der Oktoberrevolution", wie Oskar Negt Ernst Bloch charakterisiert
hat, war in dieser frühen Phase eher ein "Theologe der Revolution".
Rußland, Deutschland und das Judentum werden hier zum universalen
Hoffnungsträger der Menschheit zusammengemischt. "Es gibt keinen
Zweifel daran, daß durch die tausendfachen Energien, durch die äonenweite
Optik einer neuen Proklamation das Judentum mit dem Deutschtum nochmals
ein Letztes, Gotisches, Barockes zu bedeuten hat, um solchergestalt mit
Rußland vereint, diesem dritten Rezipienten des Wartens, des Gottgebärertums
und Messianismus - die absolute Zeit zu bereiten."
Das hat Bloch in "Geist der Utopie" unter Sozialismus verstanden,
und man wird auch bei verwegenster Auslegung nicht behaupten können,
daß derlei in der russischen Oktoberrevolution gemeint war.
"Natürlich
ein befreiter Jubel ohnegleichen über die russische Revolution",
so hat Bloch 1974 seine damalige Reaktion beschrieben, das mag für
diese frühe Phase auch stimmen. Er hat das Manuskript von "Geist
der Utopie" 1917 abgeschlossen, hat die Oktoberrevolution gerade
noch am Rande mitbekommen, die entsprechenden Passagen vermutlich erst
beim Korrekturlesen eingefügt. Noch im selben Jahr ging er in die
Schweiz ins Exil, seine publizistische Tätigkeit dort zeugt von zunehmender
Kritik an den Entwicklungen in Rußland. "Lenin, der 'rote Zar'"
ist der Titel eines Aufsatzes, in dem Bloch betont, mit den Anfängen
der Revolution sympathisiert zu haben. Nun aber führe Lenins "autokratisches
Regime" das Land wieder in seine alten Formen zurück. Bloch
kritisiert die "pure Machtgebärde" Lenins und argumentiert
gegen dessen Aussage, die russischen Bauern müßten zum Kommunismus
gleichsam wie zu ihrem Glück gezwungen werden: "Jedes Volk hat
nur denjenigen Sozialismus zu erwarten, den es nach Maßgabe seiner
bürgerlichen Freiheit, seines Liberalismus verdient."
Im August 1918 sieht Bloch "Die letzten Tage der Bolschewiki"
kommen, im November schreibt er: "Niemals hätte man es als Sozialist
für möglich gehalten, daß aus dem Rußland der sozialistischen
Revolution nichts als Gestank, Verrottung, neuer Dschingis-Khan mit den
Gebärden des Völkerbefreiers, mit den mißbrauchten Insignien
des Sozialismus kommt."
In der Broschüre
"Vademecum für heutige Demokraten" faßt Bloch 1919
sein Urteil über die Oktoberrevolution zusammen: Er lobt den wichtigen
Anstoß, kritisiert aber die bolschewistische Politik, die eine Weiterführung
der sozialen Revolution verhindert habe. Und schon damals erweitert er
seine Kritik an Lenin und den Bolschewiki "zu einer Kritik mancher
Gedankengänge des Marxismus selbst".
So ist für Bloch die Marxsche Arbeitswertlehre nicht in der Lage,
den Preis von Seltenheitsgütern zu erklären. Das mag uns heute
abwegig erscheinen, war damals aber ein wesentliches Problem der Nationalökonomien,
weil alle von Monopolen beherrschten Waren den Charakter von Seltenheitsgütern
hatten. "Der Begriff der Ware und des Marktes, wie er bis 1914 galt,
ist gestört, und mit ihm alle Gesetze der Warenproduktion".
Und schließlich ist Bloch der Meinung, daß die ökonomischen
Veränderungen nicht ausreichen, um aus ihnen geradlinig die Veränderungen
des Überbaus in den kriegführenden Staaten zu erklären.
Schon in "Geist
der Utopie" hatte Bloch angedeutet, daß Marx in seinen Analysen
das Agrarproblem sträflich außer acht gelassen habe. Nun betont
er, "daß Marxens wesentlich nur dem Industriesystem zugewandte
Analyse den Agrarfeudalismus außer rechtem Kampf und Begriff gelassen
hat."
Diese Lücken im Marxismus haben nach seiner Meinung in der Sowjetunion
dazu geführt, daß der "in Rußland glücklich
erhaltene Rest bäurischer Gemeinfreiheit, kommunistischer Agrarwirtschaft"
unter dem Beifall der Bolschewiki beseitigt wurde. Für Bloch ein
Widersinn ohnegleichen.
Er schließt
aus alledem einmal mehr, daß ein althergebrachtes Staatsverständnis
die revolutionäre Entwicklung entscheidend hemmt. "Es ist den
Kennern schrecklich klar, daß fortwirkendes Preußentum im
Sozialismus diesen entweder endlos aufhalten würde oder daß
Feldwebelei in Rot den Sozialismus 'realisieren' würde."
Die politische Freiheit, so Bloch, kommt nicht automatisch mit der Revolution,
sie muß erkämpft werden, sie ist durch nichts zu ersetzende
Voraussetzung für ökonomische Freiheit. Notwendig wäre
danach eine "Sprengung der Diktatur jeder Art, auch wo sie sich noch
so revolutionär vorkommt, und in Wahrheit doch nur verlängerte
preussische Organisation oder Zarismus ist."
Also was tun? Der
Sozialismus in Deutschland muß her, davon war Bloch ja schon vorher
überzeugt gewesen. In "Geist der Utopie" war es die Dreifaltigkeit
von Judentum, Rußland und Deutschland gewesen, die den Sozialismus
möglich machen sollte; während des Krieges entdeckte Bloch zwei
weitere notwendige Elemente: den "magischen Willen" aus den
USA und die "mystische Leichtigkeit"
aus Frankreich; nun sind es nur noch die westlichen Völker, die das
Licht der Revolution anzünden können.
Für Deutschland
sieht Bloch schon 1918 die Gefahr, daß "das junkerlich-militärische
Zwangs- und Obrigkeitswesen auch im marxistischen, totalen Fabriksystem
weiter bestehen bleibt. Sozialismus ohne weitgehende Auflockerung der
Verbände, ohne weitgehende Demokratie auch des Einzellebens ist lediglich
ein Preußentum anderer Ordnung." Vor allem gilt für Bloch
der Grundsatz, daß jedes Volk nur denjenigen Sozialismus zu erwarten
hat, den es aufgrund seiner errungenen bürgerlichen Freiheiten verdient,
schon hier. "1789 und nur 1789, kein Feudalismus und kein Gottesstaat,
wird den Sozialismus, den echten mit tausendfach korrigiertem Marx, als
Konsequenz haben: und die neu zu gewinnende wirtschaftliche Freiheit,
Freiheit von Wirtschaftlichem, wird die großen Ideale der bürgerlichen
Demokratie begeistert bewahren, wird sie nicht brechen, bespeien und in
bolschewistischer Sozialdiktatur untergehen lassen, sondern zu den vollkommenen
Idealen der sozialen Demokratie steigern."
Und weiter: "Die Fahne der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
wird uns in der Kantischen Ethik vorangetragen, zu einem Reich hinführend,
in dem wahrlich kein Preussen und keine Obrigkeit, nicht einmal mehr in
Deutschland, sondern allein noch die mystische Republik eines Verbands
sittlicher Wesen besteht."
Das Institutitonelle des Staates auf ein ökonomisch-soziales Minimum
zu beschränken, das ist für Bloch eine der wichtigsten Voraussetzungen
für den Sozialismus, wenn nicht "totaler Staatssozialismus ohne
Freiheit und Menschenziele" dabei herauskommen soll.
Dabei ist für
Bloch ausgemacht, daß Marx und Engels die wesentliche Richtung für
den Sozialismus angegeben haben, die diesem Konzept vorausliegenden ökonomischen
Analysen setzt er als im großen und ganzen geleistet voraus. Darüber
hinaus heißt Sozialismus: "Abbau des hochkapitalistischen,
neufeudalen Kriegs-, Militär- und Staatszaubers von Gottes oder auch
eines minderen Geistes Gnaden."
Und das bedeutet auch den Wegfall jeder Kommandowirtschaft: "Nichts
könnte falscher sein, als die bloße regimentshaft, reglementhaft
planende Regelung des Konsums oder der Erzeugung mit der sozialisierten
Gesellschaft zu verwechseln."
Vielmehr: "In der echten sozialistischen Gesellschaft herrscht keineswegs
durchgehende Diktatur: sondern nur das Wirtschaftssubjekt wird in dieser
gebunden, die Person aber bleibt frei, und sowohl Engels wie zumeist auch
Marx sind in diesem Sinn 'liberal', genug, noch bewegt vom Impuls der
Französischen Revolution und Demokratie, um mit bloßem Staatspfaffentum
nicht verwechselt zu werden."
Bemerkenswert daran: Einen revolutionären Kampf mit Barrikaden und
Blutvergießen hält Bloch für überflüssig, weil
seiner Meinung nach die westlichen Völker sich allesamt einig sind
über das gemeinsame Ziel. "Die freien Völker, durch steigend
gemeinsamen Machtekel überraschend aus den Klassen herausgelöst,
sehen sich nur noch mit schwachem Widerstand der eigenen göttlichen
Dynamik preisgegeben."
Wo in dieser Epoche Anzeichen eines kollektiven Machtekels und des daraus
resultierenden kollektiven Willens zum internationalen Sozialismus auszumachen
gewesen sein sollen, bleibt unerfindlich. Bloch hat hier eine seiner eklatantesten
politischen Fehleinschätzungen abgegeben.
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