| von Francesca Vidal |
Was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war
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"Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat." (PH 1628) |
Die Zielrichtung aller Hoffnung: Heimat
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Die "Utopie vom Umbau der Welt in Heimat" ist in der Blochschen Philosophie eine Chiffre für die gelungene Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt. Wie dies konkret aussehen soll, ist nirgends ausgemalt, sondern zeigt sich tendenziell in menschlichen Wunschvorstellungen und ihren Manifestationen. Die Zielrichtung der Hoffnung drückt Bloch durch den Begriff der Heimat aus. H. meint nicht Herkunft, sondern Utopikum, denn H. umfasst die Welt als Ganzes. Ineins werden die materiellen Bedingungen des Naturverhältnisses und die gesellschaftlichen Entwürfe einbezogen, was Bloch mit der Marxschen Formel der Naturalisierung des Menschen und der Humanisierung der Natur veranschaulicht. Als Utopie einer menschen- und naturgerechten Gesellschaft sperrt sich die Metapher H. durch radikale Zukunftsorientierung jeglicher reaktionären Deutung. H. zeigt die Offenheit des Weltprozesses, was bei Bloch heißt: "Trotz Widerstands ist und bleibt noch die Welt so erkennbar wie demgemäß veränderbar, gegen die Meinung eines banal entschiedenen Pessimismus wie aller Gegenwart von Optimismus, der konsumierend statt militant auftreten zu können glaubt. Nicht nur wir, sondern die Welt selber ist noch nicht zu Hause; aber Erkenntnis, am Fluß des Vorhandenen wie an dem Ruf: ‘Desto schlimmer für die Tatsachen‘ orientiert, zum Zuhausesein tendierend, kann unbestechlich Helferin sein in einer schweren Geburt. Heimat, dies prozeßhaft Vermittelbare, doch Ausstehende, Unnachläßliche hat zuerst die letzthinnige Evidenz von Wahrem an sich, in sich; zentral problemhaft wohnt Angelangtsein utopisch im Kern von guten Möglichkeiten, in der Treue dazu." (EM 60) |
Heimat ist nicht Raum, sondern eine Perspektive, die erobert werden muss
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Zu welchen prekären Folgen es kommt, wenn der Begriff Heimat rückwärtsgewandt gedeutet wird und nicht prozessual, zeigt Bloch in seinen Analysen der Entwicklungen der zwanziger und dreißiger Jahre, die vorrangig in EZ, das erst 1935 im Schweizer Exil erscheinen konnte, gesammelt sind. Er verdeutlicht, dass eine Gesellschaft, die das Spannungsverhältnis zwischen Heimat und Fremde mittels eindeutiger Bestimmungen zu einer Seite hin aufzulösen versucht, den Geschichtsprozess leugnet. Da die Wirklichkeit ihren Vorstellungen nicht entspricht, tendiert sie dazu, an falschen Heilsversprechungen festzuhalten, was sich in einem gegenüber der realen gesellschaftlichen Entwicklung rückwärtsgewandten Bewusstseinszustand kenntlich macht. |
Literaturhinweise |
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