| von Jan Robert Bloch, Rainer E. Zimmermann |
Bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee in Feindesland |
Die Frage einer friedvollen Synergie von Mensch und Natur stellt sich gegenwärtig angesichts der entfesselten industriellen Produktion und der durch sie zunehmend vernichteten Natur dringender denn je. Wachsend tritt die Natur im globalen Maß in die Menschensphäre ein und ist angesichts ökologischer Katastrophen immer ursächlicher mit ihr verschränkt. Die unreflektierte, bedenkenlose Einverleibung der Natur in der privatisierten Produktion expandiert weltumgreifend und führt zu enormen Schäden für die Allgemeinheit, zeitigt gravierende Überlebensprobleme in Gestalt der Verwüstung der Erde und ihrer zunehmenden Unbewohnbarkeit. Eine in ihrer Not sehend gewordene Natur verweist angesichts der neuzeitlichen Großprogramme der Naturbeherrschung die Menschen auf ihre Blindheit. Die Naturvergessenheit in der industriellen Ökonomie fußt auf eine Technik, die die Natur gefügig macht, ohne auf sie zu hören, auf eine Technik, die alles Unbotmäßige hinwegfegt und deren Leitbild Unterwerfung heißt. "Unsere bisherige Technik", schreibt Ernst Bloch, "steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee in Feindesland, und vom Landesinnern weiß sie nichts." (PH 814) |
|
|
Einbau der Menschen in die Natur |
Die lebensnotwendige und natursolidarische Vernunft gebietet eine Naturallianz, wie sie Ernst Bloch gefordert hat und philosophisch antizipierte: den "wirkliche(n) Einbau der Menschen (sobald sie mit sich sozial vermittelt worden sind) in die Natur (sobald die Technik mit der Natur vermittelt worden ist)." (PH 817) Die Vermittlung der Technik mit der Natur geschieht in der 'konkreten Allianztechnik', mittels der die "Mitproduktivität eines möglichen Natursubjekts" (PH 802) eingeleitet wird: "Je mehr gerade statt der äußerlichen eine Allianztechnik möglich werden sollte, eine mit der Mitproduktivität der Natur vermittelte, desto sicherer werden die Bildekräfte einer gefrorenen Natur erneut freigesetzt." (PH 807) |
Naturströmung als Freund |
Die Naturallianz ist hierbei nicht nur ein Friedensprinzip im Sinne der
Versöhnung von Mensch und Natur, sondern wesentlich eine Kategorie
der Produktivität, der gestaltenden Erzeugung des mit der Natur solidarisch
handelnden Menschen. Die Erschaffung von Menschen- und Naturheimat
setzt eine tätige, unentfremdete Mensch-Natur-Beziehung voraus, die
dem technischen Handeln eine neue Qualität zuweist: "An Stelle des
Technikers als bloßen Überlisters oder Ausbeuters steht konkret
das gesellschaftlich mit sich selbst vermittelte Subjekt, das sich mit
dem Problem des Natursubjekts wachsend vermittelt." (PH
787) |
Bloch und Theorie heute | Wir sind heute in der Lage, die im 'Schoß der Natur schlummernden Schöpfungen' besser zu begreifen und somit das Programm Blochs weiterzuverfolgen, insofern als Teilgebiete der modernen Naturwissenschaften in Gestalt der Theorien von Selbstorganisation und Strukturbildung (Chaostheorie) oder der Lehre von der Autopoiese (Selbsterschaffung), mit ihren mannigfaltigen Anwendungen - wie auch in Gestalt einer 'Theorie von allem' (TOE), die zugleich den prähistorischen Grund von Welthaftem zu liefern imstande ist -, die Natur als Gebiet autonomer Prozessualität ansehen, als aktive natura naturans (MP 494, 532, nebst EM 216), - die Materie konzeptualisieren als eine, die aus sich selbst die konkreten Formen schöpft. Mithin ist einerseits im Bereich der Naturwissenschaften ein Paradigmenwechsel konstatierbar, der es ermöglicht, einen 'nichteuklidischen' Materiebegriff als einen zu diskutieren, der "ohne letzthinnige Fremdheit" ist (PH 775f.), der einen Vorschein auf "nichteuklidische Technik" (PH 775) inmitten aller Praxis gestattet wie auch eine produktive Auffaltung des theoretischen Spektrums einer mo-dernen Kosmologie, die vom Makel des "bloßen Mechanismus" befreit ist (MP 447) - bis hin zu einer Übertragung der Raum-Zeit-Verhältnisse auf die alltägliche Welt menschlichen Zusammenlebens (PH 775). |
Experimenteller Weltentwurf |
Andererseits ermöglicht es die Verallgemeinerung der Standard-Mathematik mit Mitteln der Topos-Theorie, mit ihrem experimentellen Ausgriff in die Welt der Computer-Simulationen, und in die neueren Theorien der Kognition und des Bewußtseins, zunächst vom "Menschen als Frage" (MP 450) auszugehen, aber nach Maßgabe der Tatsache, daß er als Naturprodukt wesentlich bereits eine Antwort unter vielen darstellt, der man auf den Grund zu gehen hat. Hiermit wird zugleich die Einfügung der Theorie in eine politisch engagierte Praxis vollzogen, wofür der konkrete Bezug auf semiologische (also überhaupt theoriebildende), psychoanalytische und ethno-soziologische Felder ein zureichender Beleg ist. Beide Bewegungen, sowohl die Insichtnahme des Menschen unter der Perspektive seiner charakteristischen Tätigkeiten (des reflexiven Denkens und des Vorstellens), als auch die Insichtnahme der Natur als eine, die den Menschen hervorzubringen in der Lage gewesen ist, mit Blick auf ein immer noch nach vorn offenes, keineswegs zum Abschluß gekommenes Projekt, auf einen Weltentwurf auf ein konkret-reales Feld der Möglichkeiten hin, - beide diese Bewegungen werden die menschliche Grundhaltung auf eine von fundamentaler Solidarität ausrichten helfen, auf eine, die nicht von "kolonialer List" (PH 782) oder "Domination" (PH 783) geprägt ist. Vielmehr wird erst mit dieser überhaupt die Grundlage geschaffen sein, um sich an die Natur als das anzunähern, was sie schon immer war: "Kern- und Agens-Immanenz des eigentlich naturhaften Objektzusammenhangs" (PH 777), für den natura naturans gleichsam als Logo (wenn nicht als Logos) steht. |