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Kunibert Hammer |
Nikolaus von Kues 1401-1464 "Pförtner der neuen Zeit"
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An zahlreichen Stellen des Gesamtwerkes von Bloch erkennt man, wie sehr sich Bloch mit den Gedanken des Cusanus auseinandergesetzt hat. Wir finden Zitate in: "Das Prinzip Hoffnung", "Das Materialismusproblem", in den "Philosophischen Aufsätzen", in "Zwischenwelten der Philosophiegeschichte" (Leipziger Vorlesungen) und in "Tübinger Einleitung in die Philosophie". In "Zwischenwelten der Philosophiegeschichte" schreibt Bloch: "Am kühnen Ende des mittelalterlichen Denkens steht Nikolaus von Cusa. Die Zeit, worin er lebt, wird immer mehr zwielichtig, immer mehr beginnt das Morgenrot der Neuzeit, und das Mittelalter wird nun wirklich etwas nächtig" (...). Er ist eine Janusgestalt, die sowohl zum Mittelalter als auch zur Neuzeit gehört." (ZW 163). |
Materialismus-Idealismus
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In seiner Antrittsvorlesung in Leipzig, Mai 1949, mit dem Thema "Universität, Marxismus, Philosophie" betont Bloch die Wichtigkeit, sich mit dem Idealismus auseinanderzusetzen, wozu er auch das Werk des Cusanus rechnet. In dieser Vorlesung heißt es u.a. "Die Unwissenheit der Bourgeoisie über Marx wird nicht als Unwissenheit über Sokrates und Plato, Nikolaus von Cusa und Leibniz zurückgegeben. Die Dialektik selber stammt aus idealistischen Gedankengängen und lebt zuerst in ihnen." Oder: "Die Philosophie enthält, wenn sie etwas taugt, jenen bewegten cantus firmus in sich, der Halt und Richtung gibt. (...) Totum relucet in omnibus, omnia ubique, das Ganze leuchtet wider in allem, alles ist überall, sagt Nikolaus von Cusa, im Anschluss an arabische Philosophen; und Leibniz wie Hegel haben das gleiche Prinzip unvergesslich gemacht." (PA 286f) |
Cusanus - Heidegger | Im Aufsatz "Über den gegenwärtigen Stand der Philosophie"(1950) setzt sich Bloch u.a. mit der Philosophie Heideggers auseinander und sieht dabei Cusanus noch in einem anderen Licht: "Heideggers Philosophie selber ist undiskutierbar, doch einige Problemstellungen darin, mit älterem Tiefgang, haben sich der Disputation nicht unbedingt entzogen. Sie beziehen sich, wie angegeben, auf Befindlichkeit und Zeit, auf Überstieg und selbst noch auf Nichts, sofern man im letzteren Fall Heidegger vergisst und auf die wirkliche Logik des Nichts, bei Plato und Plotin, bei Cusanus und Hegel zurückgreift." (PA 314). |
Stufenlehre
der Erkenntnistheorie
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Ausführlicher beschäftigt sich Bloch - etwa in den "Leipziger Vorlesungen", auch in der "Tübinger Einleitung" und im "Materialismusproblem" - mit den Vorstellungen des Cusanus über eine Art "Stufenlehre der Erkenntnistheorie". Bloch meint, Hegel habe in der "Phänomenologie des Geistes", die dieser eine "Entdeckungsreise" nannte, deutlich diese Cusanische Stadienlehre geerbt, und diese stehe in der Tradition von Bonaventura im "Itinerarium mentis in Deum". Die Stufen der Erkenntnis seien in ihren Übergängen zu den höheren Stufen wie die Reise des Bewusstseins durch die Geschichte und Welt zur Selbsterkenntnis. (TE 53, 73, 261) |
coincidentia oppositorum |
Bloch beschreibt die Stufenfolge, wie er sie bei Cusanus dargestellt sieht: sensus - ratio - alteritas - explicatio - evolutio - intellectus - visio. Bloch wertet die Erkenntnis des Cusanus über die Bedeutung auch des "Nicht(s)", also die ungeheure Macht des Negativen als Treiber der dialektischen Entwicklung. Bloch sieht hier den cusanischen Gedanken der coincidentia oppositorum vorherrschend, des dialektischen Ineinanderfallens aller Gegensätze. So ist die visio - Anschauung - die höchste Stufe der Erkenntnis, die als adäquates Objekt die Unendlichkeit hat. Hier wird die dialektische Einheit der Dinge, ja ihre Identität erreicht, die unitas oppositorum. Bloch sagt: "Cusa hatte schon derart dialektisch Vermittelndes in neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit fassen können." |
de possest "Möglichkeit des Seins"
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Insbesondere in seinem großen Werk "Das Prinzip Hoffnung" greift Bloch einige Gedanken des Cusanus auf. So etwa bei der Erörterung des Kategorialbegriffs der "Möglichkeit des Seins". Es geht um die Frage, wie sich Möglichkeit und Verwirklichung zueinander verhalten. Bloch kritisiert zunächst philosophische Vorstellungen, die eine "Abneigung des statischen Denkens" erkennen lassen gegen den Weltbegriff einer "tätigen Offenheit". Diese Abneigung findet sich auch bei so prozessualen Philosophen wie Aristoteles und Hegel, trotz der riesigen Konzeption eines realen dynameion beim ersten, der realen Dialektik beim zweiten. Die Setzung fertigen Ein und Alles, eines Universums, bei dem alles Mögliche wirklich ist ("Possest", vollendetes "Könnensein" nennt Nikolaus von Cusa Gott): "diese statische Setzung hat den Raum des Offen-Möglichen vor allem verstellt." (PH 280) |
de docta ignorantia | Auffällig erscheint, wie selbstverständlich Bloch das cusanische Ineinander von Philosophie und Theologie akzeptiert, obwohl Cusanus in einer "nicht-transzendentalen" Philosophie zwei unterschiedliche Quellen der Erkenntnis ausmacht, die allerdings aufeinander zugeordnet sind: Offenbarung Gottes und rationales Denken. Bloch zitiert Cusanus aus der Schrift "de docta ignorantia": "Die Dinge entstehen, indem Gott sich in das Nichts hinein entfaltet". Schließlich sieht Bloch bei Cusanus das Bild des himmlischen Jerusalem als das eigentliche Ziel der kosmologischen Entwicklung: Die Figur des himmlischen Jerusalem "symbolisierte für Millionen in der Tat heiligsten Raum. Sie gab, wie erinnerbar, zusammen mit dem salomonischen Tempel, ein architektonisches Einweihungsmodell (...). Die Quadrate dieser Figur wurden in einer umgekehrten Quadratur des Zirkels wieder in einen Kreis verwandelt; woher die Definition, die bis zu Eckhart und Cusanus reicht: "Deus est sphaera intelligibilis, cuius centrum ubigue, circumferentia nusguam." (PH 1586) |