Spuren, VorSchein

 Ästhetik

von
Francesca Vidal

Ästhetik ohne Illusion

  • EM = Experimentum Mundi
Die Ästhetik der in Zeiten des gesellschaftlichen Übergangs möglichen Kunst kann reflektieren, "was in den Zeiten gelungener Kunstwerke entweder immer klassizistisch bedroht war oder aber überhaupt nicht über den Horizont seines Begriffes stieg. Innerhalb der Gebietskategorie Kunst wird gerade dadurch mit Vor-Schein über dem Schein, statt des Scheins eine Ästhetik ohne Illusion bedeutet, die sich dem bloß kontemplierenden Kunstverständnis entzieht." (EM 197)

Kunst als Vor-Schein

  • PH = Prinzip Hoffnung

 

Kunst von Kommerz zu trennen und sie nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer kommerziellen Verwertbarkeit zu sehen, scheint gegenwärtig unmöglich geworden und erfordert den Blick auf Denker, die sich dieser Problematik ausführlich zugewandt haben. Gerade mit der Frage, wie Kunst sich der Instrumentalisierung durch die Kulturindustrie entzieht, hat sich nicht nur Adorno in seiner Ästhetik beschäftigt, sondern auch Ernst Bloch. Für ihn ist die Kunst Vor-Schein, sie zeigt, was möglich sein könnte und fordert heraus, Wünsche an der Realität zu prüfen. Das Thema ist ihm so bedeutsam, dass er keinen eigenen Band zur Ästhetik hinterlassen hat, sondern diese seinem gesamtem Werk immanent ist.

Ästhetik und Hoffnung Die Bedeutung der Ästhetik lässt sich durch ihr Verhältnis zur Philosophie der Hoffnung erfassen. Hoffnung ist ein Akt der Erkenntnis, sie kennzeichnet das Unterwegssein zu einem Andern, Besseren, das zukünftig ist, da das wesentliche Sein der Welt erst in der Zukunft liegt. "Wesen ist nicht Ge-Wesenheit; konträr: das Wesen der Welt liegt selbst an der Front." (PH 18) Deshalb gibt er in "Prinzip Hoffnung" eine Enzyklopädie menschlicher Hoffnung und betont eine innere Ordnung von den Tagträumen bis hin zu sich auskennender Hoffnung. Kunst hat dabei die Aufgabe der Vermittlung, da sie, Möglichkeiten zugleich registrierend als auch vorwegnehmend, die Wahrnehmungsmodi des Rezipienten erweitert und in einer dialektischen Beziehung zur Hoffnung steht. Sie "vermag die Hoffnung zu bebildern und anschaulich zu konkretisieren und sie solchermaßen zu erhellen. Und zugleich gilt: Kunst wird von der Hoffnung getragen, insofern Hoffnung als docta spes selbst objektiv ausgerichtet ist. Bloch unterscheidet die subjektive Hoffnung, ‚spes, qua speratur‘, von der objektiven Hoffnung, ‚spes quae sperator‘. Die objektive Hoffnung ist ‚die objektive Hoffnungssache in der Welt selber‘: An ihr hat sich Kunst auszurichten." (W. Schulz 78)
Kunst soll utopische Perspektive auslegen Der durch die Kunst initiierte reflektierte Blick auf die Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt lässt ästhetische Erfahrung zum Ausgangspunkt utopischen Denkens werden, Kunst bringt zur Anschauung, was sich einer begrifflichen Erfassung noch sperrt. Bloch sieht Kunst in ihrer Vermittlungsfunktion für das utopische Denken und fordert von der Ästhetik, die utopische Perspektive philosophisch auszulegen und mit dem Prozess der Geschichte zu verschränken. Dadurch lässt sich sein Werk als ‚tendenzhaft utopisch-realistische Ästhetik‘ verstehen, die sich im Zuge ihrer Entfaltung verwirklicht.
Literaturhinweise
  • Raulet, Gérard: Natur und Ornament. Zur Erzeugung von Heimat. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand, 1987
  • Schulz, Walter: "Bloch: Kunst als Vorschein einer besseren Welt." Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik. Pfullingen: Neske 1985, 73-80
  • Vidal, Francesca: Kunst als Vermittlung von Welterfahrung. Zur Rekonstruktion der Ästhetik von Ernst Bloch. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1994