Kategorien

 Kommunizierende Kategorien

von
Rainer E. Zimmermann
  4. Drehung/Hebung

  • Alle Zitate stammen aus Experimentum Mundi (Seitenzahlen in runden Klammern)

 

Die Allegorie ist danach als mehrdeutige umkreisend und deshalb enthält sie lauter Archetypen der Vergänglichkeit, deren Bedeutung allemal auf Alteritas geht, zum Unterschied vom Symbol, das durchgehend der Unitas eines Sinns zugeordnet bleibt. (203) Der forttreibende Kern ist so das Subjekthafte selbst, wie es mensch-geschichtlich so unverkennbar antreibt, Bewegung setzt als Hinbewegung zu einem versuchten Fürsichwerden. Doch ihm entspricht eben, obzwar notgedrungen immer noch hypothetisch, ein Subjektkern in der Natur, seit alters als natura naturans bedeutet und angesprochen (...) Dialektik gibt es in der Natur deshalb, weil sie gleichfalls ein prozeßhaftes, ja besonders unerledigtes und unfertiges Feld ist. Dialektische Bewegung selber ist die des Neuen: sie läßt eben durch immanenten Widerspruch des Subjekts immer wieder Neues entspringen, sofern keine gewordene Form dem Subjekt bereits eine endgültig bestimmende, qualifizierende, angemessene ist. Naturphilosophisch steht deshalb immer wieder dringend zur Frage: Gibt es auch - entsprechend dem arbeitenden Subjekt als dem Erzeuger der Geschichte - ein Subjekt in der Natur, eines, das der Motor von Naturdialektik sein könnte? (218)

Das Ornament im übertragenen Sinn, im Sinn einer sich nicht wiederholenden Struktur, als Geometrikum eines Natur-Eidos, ist in künstlerischer Darstellung zweifellos ebenfalls und erst recht abgebildet. Es sind zugleich alle diese Gestalten deutend, weiterdeutend, fortbedeutend, sie sind - statt in sich abgeschlossen oder am Ziel zu sein - Chiffern. Und zwar nicht nur Chiffern für die menschliche Lesekunst, in sich selbst aber durchaus entziffert und klar. Sondern es sind Realchiffern, ein objekthaftes Schweben in Formen, zuletzt ein objekthaftes Utopie-Sein in versuchter Gelungenheit. Das heißt: die qualitativ-dialektischen Gestaltkategorien gerade auch der anorganischen Natur, obgleich oft bis zur kristallinischen Form abgeschlossen scheinend, sind, emblematisch erfaßt und gefaßt, ebensoviele Realproben des in jedem Augenblick versteckten und noch nirgends herausgebrachten Kerngesichts der Welt. (219)

Die Realchiffern sind Odysseen des ausziehenden Stilliegens, sind dialektische Bewegung hin zu einem identisch gewordenen Auf-der-Stelle-Treten, all das in höchst uneigentlichem Gleichgewicht dialektischer Spannung. So enthält Natur, diesfalls wie leere Quinte und doch voll lauter Erwarten zugleich, Lineamente eines Endzustands, doch nur als solche seiner Hoffnung. Gerecht wird dem gewiß nicht mehr die bloß quantitativ, dann funktionalistisch gewordene Naturwissenschaft, woraus die Naturqualitäten ausgeschieden sind, doch lebendig wirkt solches Fragen in jedem starken sinnfälligen Natureindruck, ausgesprochen in jeder genauen Naturpoesie und auch von dort, sozusagen interdisziplinär, philosophisch ausdeutbar. (220) (...) Chiffern der Natur. Sie enthalten Ontologie, doch nur als eine des Noch-Nicht-Seins, in objekthaft-utopischer Allegorie und zuletzt in objekthaft-utopischem Symbol. Konstitutive Lesung ihrer ist möglich bei großer Vertiefung in die real-bedeutende Sache; diese Vertiefung macht die menschliche Subjekt-Objekt-Beziehung (...) stellvertretend für die in den Realchiffern keimende Subjekt-Objekt-Beziehung der Natur. (221) Und die Materie der Chiffer ist so wenig wie die der prozessualen Dialektik die mechanische des Vorbei, des selber starren Schauplatzes, auf dem dann Geschichte geschieht. Konträr: die Materie der Chiffer ist im zeitlichen wie räumlichen Sinn noch unpassiert, sie ist das Substrat objekthafter Möglichkeit.

Die Naturmaterie insgesamt steht in fortdauernd mitvorhandener Wechselwirkung mit der menschlichen Arbeit und Geschichte; sie steht aber ebenso am Ende der Geschichte und gibt dem Ende noch viel zu raten auf. Auch die dialektisch-qualitativ erfaßte Natur setzt sich nicht an Stelle der erloschenen Transzendenz, dies Amt bleibt einzig dem Humanum. Doch indem sie dem Humanum, vor allem in der Realchiffer, sich vermittelt, hält Natur den utopischen Topos eines manifest gewordenen Humanum möglicherweise in sich geradezu apokalyptisch verborgen. (223)