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Spinoza,
der "Äußerst Untranszendente"
Ernst Blochs Spinoza
Interpretation
Baruch de Spinoza (1632-1677) wird von Bloch
stets zum Kreis "großer Philosophen" gezählt, wobei "große
Philosophen" diejenigen sind, die sich durch ihre Vermitteltheit mit der
jeweiligen Gegenwart auszeichnen. Während die Probleme einer Gemüsefrau
zur Zeit des Perikles nicht viel anders waren als heute, so Bloch zu seinen
Leipziger Studentinnen und Studenten, sollten die Probleme eines Philosophen
doch mehr Veränderung erfahren haben. In dem Aufsatz "Zeitung und Traktat",
geschrieben 1923 und veröffentlicht in Logos der Materie , klingt das
immer wiederkehrende Motiv der Gegenwartsorientierung so:
"Der schöpferische Denker allein hat selbst in bürgerlichen Zeiten
die Kraft, sich zur Nähe vermittelt zu verhalten. Als solcher ist er
der Sprecher des von innen Handelnden, sein eigenes Denken geht über
in das Denken, das Bewusstsein der Handelnden, informiert diese über
sich selbst. Einen "reinen" Philosophen im Sinn des blossen Betrachtens hat
es nie gegeben, ist ein Begriff des professoralen Kleinbürgers, von ihm
ersonnen, auf die abstrakte Belanglosigkeit seines Tuns allein anwendbar.
Konkrete Publizität ist das Format, in dem sich die Art der grossen Philosophen
jederzeit mitbewährte, den Durchklang des Weltganzen in jedem Detail
verspürend; Platon wie Spinoza wie Kant wie erst recht Hegel waren jederzeit
auch Herren der lebendigen Zeitmitte, Meister des philosophisch-politischen
Traktats."
Spinozas Philosophie widmet Bloch zwei Abschnitte in Das Materialismusproblem,
seine Geschichte und Substanz. Im ersten Kursus, in dem Bloch "Die Lehren
vom Einzelnen - Allgemeinen, den Stoff angehend" behandelt, nennt er Spinoza
zusammen mit Bacon, Hobbes, Descartes, Leibniz, Hume und Kant die Vertreter
der "reine(n) allgemeine(n) Verstandesform", deren "spezifische wie inhaltliche
Grenze" er diskutiert. Im zweiten Kursus, "Die Lehren von der Materie, die
Bahnungen ihrer Finalität und Offenheit" in den Blick rückend, sind
Spinoza und Malebranche Vertreter einer Konzeption, die "Materie, gesehen
in Gott; als Ausdehnungsattribut Gottes" fassen. Ausführlicher noch als
im Materialisbuch wird Spinoza in den Leipziger Vorlesungen vorgestellt. Des
weiteren findet sich in Das Prinzip Hoffnung, im Kapitel 41 "Wunschlandschaft
und Weisheit sub specie aeternitatis und des Prozesses" ein Abschnitt "Bruno
und das unendliche Kunstwerk; Spinoza und die Welt als Kristall" . Daneben
wird Spinoza an verschiedenen Stellen im Werk beiläufig genannt.
Da die Bedeutung der spinozistischen Philosophie für Ernst Bloch in
den letzten Jahren vor allem von Rainer E. Zimmermann in verschiedenen Publikationen
herausgestellt wurde, soll hier Blochs Verhältnis zu Spinoza anhand einer
ausführlichen Textexegese dargestellt und erläutert werden, da
andere, zum Beispiel Jens Scheer, Bloch zwar auch in die entsprechende Denklinie
stellen, Spinoza jedoch ausklammern: "Bloch bezog sich, was die Einstellung
zur Natur oder Materie angeht, auf den Traditionsstrang der "aristotelischen
Linken", von Ibn Sina (Avicenna) und lbn Ruschd (Averroes) zu Giordano Bruno,
dann Schelling und auch Marx."
Spinoza passim bei Bloch
In der ersten Fassung von Geist der
Utopie taucht der Name Spinoza meines Wissens nicht auf, wohl aber in der
zweiten von 1923. Bloch verlegt den Abschnitt über den "Alexanderzug"
in das Kapitel "Die Gestalt der unkonstruierbaren Frage" hinein und ersetzt
die einleitenden kulturgeographischen Überlegungen der ersten Fassung
durch eine ethisch-religiöse Zeitdiagnose. In diesem Zusammenhang taucht
Spinoza auf: "Vielleicht glaubte Nietzsche zureichend, was er sagte, vielleicht
auch Schopenhauer, der gewaltig Erlebende, vielleicht auch Spinoza, more
geometrico, aber allen fehlt das tiefste Mithineingerissensein, und der Tag
von Damaskus ist nicht zu ersetzen."
Als indirekter Verweis auf Spinoza kann im Thomas Münzer folgende Stelle
aus dem Abschnitt "Der absolute Mensch oder die Wege des Durchbruchs" gelesen
werden: "Wesensgemäß liegen die Felder, in denen Christus, der
Unbedingte, umgeht, die Räume der letzten Ratio in Dämmerung, im
noch ungewissen inneren Licht; alles Kristallhafte zerbricht davor und wird
zur Frivolität." Der Spinozabezug darf vermutet werden, da Bloch Spinoza
immer wieder mit der Metapher des Kristalls in Verbindung bringt, so im Materialismusbuch:
"Die Verwandtschaft der göttlichen Attribute mit den kabbalistischen
Gebietskategorien der "Sephirot" ist offenkundig; orientalische Mystik ¸berhaupt
- in Verbindung mit der wissenschaftsgläubigen Philosophie - gibt
dem Spinozismus einen einzigartigen Klang. Die Welt ist ein Kristall, und
das Licht Gottes steht darin im Zenith". Fünfzehn Jahre nach dem Münzerbuch
hat also Bloch bereits große Sympathien für Spinozas "Auswendigkeit"
entwickelt, die er "weltloser Inwendigkeit" entschieden vorzieht. Die Kristall-Stelle
in den Leipziger Vorlesungen zeigt nach weiteren eineinhalb Jahrzehnten eine
fortgesetzte Annäherung an Spinoza, denn dem Kristall wird als Gegengewicht
die Tiefe zur Seite gestellt: "Kühle und Glut, unermeßliche, schwindelnde
Tiefe und Kristall. Also eine seltsame Verbindung, die in dieser Form in der
Philosophie wohl auch nie wieder erschienen ist."
Selbst an kaum vermuteter Stelle, nämlich in Erbschaft dieser Zeit,
im letzten Abschnitt des Kapitels "Ungleichzeitigkeit und Berauschung", wird
Spinoza erwähnt im Rahmen der bereits 1933 berechtigt schneidend-scharfen
Kritik am Verhalten der christlichen Kirchen dem Nationalsozialismus gegenüber:
"Diese protestantisch immerhin dienende, katholisch immerhin konkordierende
Kirche steht auf dem Boden der Bibel, von der der neue Führer doch sagt:
"Das Judentum war immer ein Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten und
niemals eine Religion; nur sein Fortkommen ließ es schon frühzeitig
nach einem Mittel suchen, das die unangenehme Aufmerksamkeit in bezug auf
seine Angehörigen zu zerstreuen vermochte" (Mein Kampf; S. 335). Also
haben die Juden keine Religion gehabt (die Griechen gewiß auch keine
Kunst und Philosophie, die Römer keinen Staat); also sind die Propheten
und Apostel, Jesus Christus, die Urchristen und Spinoza erledigt, ihr Fortkommen
geklärt - und es bleibt die Hitlerkirche, sie zerstreut die unangenehme
Aufmerksamkeit in Bezug auf ihre Angehörigen nicht. Viel Betrug war schon
auf religiösem Gebiet, doch niemals soviel gemeiner Irrsinn, soviel blutige
Posse dazu; die Kombination von Neuem Testament mit Nibelungenring und dem
Horst-Wessel-Lied ist Satanismus und armseliger obendrein."
Bemerkenswert ist die Reihe, in die Spinoza gestellt wird: Er zählt
zu den obersten jüdisch-christlichen Autoritäten; Bloch nennt ihn
in einem Atemzug mit den Propheten und Aposteln, mit Jesus Christus und den
Urchristen. In seiner Bloch-Biographie verweist denn Arno M¸nster auch
auf die Wertschätzung Spinozas durch Bloch nicht nur als Systemdenker
und Naturphilosoph, sondern als Rechts- bzw. Religionsphilosoph:
"Cette predilection d´Ernst Bloch pour une lecture "subversive" de
la bible renoue bien sur volontairement avec une tradition philosophique dej
inauguree par Baruch Spinoza dont le Traite Theologico-Politique (TPP) propose
dej une lecture autre, critique, des Ecritures, ... consistait mettre
les propheties de l´Ancien Testament au service de l´encouragement
la revolte des opprimes contre leurs oppresseurs."
"Diese Vorliebe Ernst Blochs für eine "subversive" Bibellektüre
könnte gewissermaßen als Fortsetzung des bereits von Baruch Spinoza
in seinem Theologisch-Politischen Traktat im 17. Jahrhundert unternommenen
Versuchs angesehen werden, eine den theologischen Dogmen gegenüber äußerst
kritisch eingestellte andere Bibellektüre zu begründen ... der zufolge
es vor allem darum geht, die Prophezeiungen des Alten Testaments in den Dienst
der Ermutigung der Unterdrückten in ihrer Revolte gegen ihre Unterdrücker
zu stellen."
Im Naturrechtsbuch finden wir Spinoza zunächst im Abschnitt "Nochmals
rationalistisches Naturrecht, sein Bezug zur mathematischen Konstruktion und
zur Naturreligion." Der Humanismus, so Bloch, habe die epikureische Vertragstheorie
¸ber die Entstehung des Staates mit der stoischen Lehre, "wonach die
rechte Rechts- und Staatsordnung aus der "menschlichen Natur" abgeleitet wird
und in ‹bereinstimmung stehen muß mit der Weltvernunft", neu vermittelt.
Im Naturrecht des 17. Und 18. Jahrhunderts, das maßgeblich vom Spinozismus
beeinflußt wurde, erschien der Glaube an eine unbefleckte Natur, an
"natura immaculata", eine Natur-Idee, die sich sowohl gegen die Natur der
reinen Naturgesetze als auch gegen "Künstlichkeit" wandte: "Zwar blieb
der Natur die Gesetzmäßigkeit, sie wurde vom Spinozismus, der in
der Zeit Rousseaus durchdrang, besonders zum Erweis der natürlichen Vollkommenheit
verwendet. Doch wird die Gesetzesnatur immer mehr zum Behälter von Stimmungen
zeitkritischer, wo nicht gesetzesüberlegener Art: der Kristall der mathematischen
Physik erschien zugleich als Stein der Gerechten, als Panazee des Glücklichen.
Letzteres vor allem unterstreicht die nicht immer so ganz so rationalen,
die mindestens übersteigerten Annahmen, welche dem rationalistischen
Naturrecht zugrunde lagen; desto größer war seine Wirkung, hinter
Rousseau ist es explodiert." Unüberhörbar ist Blochs kritischer
Unterton bezüglich der Tauglichkeit der Kristall-Natur als ethischem
Orientierungspunkt, als Allheil- und Wundermittel zur Herbeif¸hrung
von Gerechtigkeit und Glück. Dieser Einschätzung läßt
Bloch die bereits in der Bruno-Interpretation geäußerte Kritik
am Pantheismus folgen. Die den Menschen von Natur aus gemeinsame Universalreligion,
die schon die Stoa und die arabischen Scholastiker verkündet hatten,
wird im 17. Und 18. Jahrhundert wiederbelebt, so zum Beispiel von dem englischen
Deisten John Toland, der die Gottheiten in einer "Allnatur" verschwinden ließ.
Der Rückbezug auf Spinoza ist unübersehbar: "Es ist diese Allnatur,
welche der Naturreligion nicht nur die anthropologische Angeborenheit geben
sollte, sondern schließlich auch ihr höchstes Gut: Gott wird Natur,
der Deismus wird Pantheismus. So eben tauchte, auf dem Weg der natura immaculata,
Spinoza wieder auf, als die ausgeprägteste Darstellung des Deus sive
natura". Gründet das rationalistische Naturrecht auf der Verträglichkeit
der Gesetzmäßigkeit und der Unbeflecktheit der Natur, so reklamiert
Bloch hier doch einen "letzthinnigen Unterschied", der seine eigene Position
andeutet:
"Denn die Gesetzmäßigkeit der Natur diente dem ruhigen bürgerlichen
Kalkulationsbedürfnis, während das Pathos natura immaculata einem
revolutionären, einem aktiv-antifeudalen, schließlich sogar beginnend
anti-kapitalistischen Interesse diente. ... Dieser Unterschied - man kann
ihn als einen zwischen dem Kalkülideal und dem Stimmungsideal Natur bezeichnen
- erhellt sehr deutlich aus einem Hauptbuch dieser Epoche, aus Holbach-Diderots
"Systeme de la nature" (1770). Spinoza und Rousseau, wertfreie Gesetzmäßigkeit
der Natur und Ableitung aller wahren Werte aus der Natur stoßen hier
- im Kontrast des Hauptteils zum Schlußwort - lehrreich zusammen. Der
Hauptteil weist alles Anthropomorphe, ja alles irgend Wertende in der Betrachtung
der Naturgesetzlichkeit von sich; er statuiert sogar: Ordnung und Unordnung
sind nicht in der Natur. Der Schlußteil dagegen, von Diderot verfaßt
(Abrege du code de la nature), setzt Natur und ihren Kodex durchaus als Quell
und Lehrbuch des menschliche Rechten überhaupt."
Des weiteren taucht Spinoza auf im Abschnitt über die Freiheitsbegriffe
(Wahlfreiheit, Handlungsfreiheit, ethische Freiheit und religiöse Freiheit).
Die ethische Freiheit betrifft die "letzte immanente Schicht von Unabhängigsein"
- wobei der Begriff der Immanenz sofort auf Spinoza verweist (und nicht übersehen
werden darf, daß - durchaus im Sinn einer Steigerung - die religiöse
Freiheit mit Kant- und Hegel-Bezug noch darauf folgt). Der ethisch freie Mensch
beherrscht Leidenschaften und Zumutungen: "Bei Sokrates wie Spinoza eignet
dieser Kommandohöhe des ethischen Willens überdies ein eigentümlicher
Intellektualismus: Einsicht in die Tugend, sagt Sokrates, macht frei zu ihr;
"Wille und Verstand sind ein und dasselbe" lehrt Spinoza gerade in diesem
Betracht (Ethik II, 49. Lehrsatz, Folgesatz). Adäquate Ideen allein sollen
von der Sklaverei der inadäquaten Triebe, aber auch der inadäquaten
Umstände befreien, als Garanten des homo liber ethischen Sinns." Der
Topos dieser unbestechlichen, jedem quietistischen Einschlag fernen ethischen
Freiheit ist das Öffentliche, nicht das Private: "Der homo liber Spinozas,
der durchaus theologisch-politisch traktierende, hat das Gegenteil von Privatheit
durch öffentliche Unbeugsamkeit bewährt, also letzthin durch Verstand
als Willen und nicht nur umgekehrt."
Die letzte relevante Stelle im Naturrechtsbuch Spinoza betreffend findet
sich unter der Überschrift "Illusionen im bürgerlichen Naturrecht".
Bloch befaßt sich hier mit den Äquivokationen des Naturrechtsbegriffs
im Anschluß an die phänomenologische Bedeutungsanalyse durch Spiegelberg.
Dieser unterscheidet drei erkenntnismäßige Naturrechtsbegriffe:
das naturangeborene, das natureinsichtige und das naturoffenbarte Recht. Ontologische
Naturrechtsbegriffe sind das naturbeständige, naturzuständliche,
das naturgegebene, das naturgültige, das naturbegründete und zuletzt
das naturgemäße Recht. Spinoza wird mit dem naturbegründeten
Recht in Zusammenhang gebracht:
"Fünftens findet sich naturbegründetes Recht, das von der Natur
nicht gegeben, auch nicht für sie gültig ist, aber aus ihr folgt,
in ihr den sachlichen Grund hat (mithin erkenntnismäßig aus dem
ihr adäquaten Naturbegriff abgeleitet werden kann). Der Naturbegriff
reicht hier von dem "Wesen" oder der "Natur" einer Sache bis zu den Umfänglichkeiten
einer panlogistischen Emanation. Ableitungen aus der "Natur" der Miete, des
Kaufs, des Despotismus, des casus, modus, der culpa finden sich bereits im
römischen Recht. Ableitungen aus der Weltlogik und ihrem obersten Prinzip
finden sich in der gesamten Aufklärung, am stärksten bei den Eck-Giganten
des Rationalismus, bei Spinoza und Hegel."
In Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel, begegnen sich die "Eck-Giganten
des Rationalismus" gelegentlich, die übrigens nicht nur durch dieses
Blochsche Etikett, sondern auch durch jenes verbunden sind, lange als "tote
Hunde" gegolten zu haben. An einer der zahlreich vorhandenen Stellen weist
Bloch zum Beispiel auf das "vitalistische Mißverständnis" des Spinoza
durch die romantisch-historische Schule hin. Die bereits bekannten Themen
klingen mitsamt der ambivalenten Bewertung wieder an. In seiner Interpretation
der Wissenschaft der Logik erwähnt Bloch Spinozas Identität von
Wesen und Erscheinung:
"Freilich konnte die Spannung zwischen Wesen und Erscheinung auch ganz unelektrisch
bleiben, und zwar durch zuviel Dualismus, durch allzu große Zerreißung
der irdischen und der wesenhaften Welt; so bei Platon. Oder die Spannung konnte
harmonistisch abgeschwächt werden, im Gefolge einer allzu engen Verbindung;
so teilweise bei Aristoteles, dann bei Thomas, dem zwischen Welt und Gott
("höchstem Wesen") hierarchisch vermittelnden, und gewiß auch
bei Hegel. Bei Spinoza steht gar die gesamte Erscheinungswelt, wenn sie adäquat
erfaßt wird, im senkrechten Sonnenlicht des Wesens, das hier Substanz
heißt."
Wieder ist der kritische Unterton deutlich vernehmbar. Wenn selbst Hegel
in seiner Naturphilosophie "mit Vernunft ... zu rasen beginnt" und sein Begriff
durchaus nicht dem Natur-Mythos, auch nicht der Natur-Poesie gerecht wird,
so tangieren die Ausbr¸che in Negativität Spinoza nicht. Unter
dialektischem Vorzeichen mußte Hegel, so Bloch, von Naturqualitäten
ausgehen: "Es wäre sonst weder organisch-psychische Entwicklung aus der
physischen Natur möglich noch gar die riesige Chiffrenwelt, die die
physische Natur den Landschaftserfahrungen, der Kunst, dem Naturmythos, den
chiliastischen Hoffnungen und Ängsten bereit hält oder gehalten
hat." Hegel kam nicht umhin einzusehen, daß "dergleichen Qualifiziertheiten
... selbst mit spinozistischer Abschiebung auf "inadäquate Ideen" nicht
erledigt" sind.
Im dritten Teil von Subjekt-Objekt, "Hegels Tod und Leben", deutet sich
Blochs Pro und Contra ad Spinoza unmi_verständlich an: "Die letzthinnige
Statik dagegen, als ob nicht nur der Geisterzug, sondern auch der Prozeß
gar nicht wahr wäre, ist für Marx heillos. Sie erneuert alle Nachteile
des Platonismus, weiterhin des Spinozismus, ohne die Vorteile eines nichtgeistigen
Substrats, die der statische, doch materielle Spinozismus enthält." Also:
pro nichtgeistiges, materielles Substrat, contra Statik.
Gleichwohl zog Bloch Spinoza auch in anderer Hinsicht Hegel vor. So schreibt
er an Adolph Lowe, als seine Berufung an die Leipziger Universität zur
Debatte stand: "Es ist wunderbar, unbekannt, von jeder Neugier unbelästigt,
zu leben und zu arbeiten; Ruhm ist posthum und gilt dem Werk, nicht der Person.
Mein Mann und Bruder im philosophischen Leben war allezeit Spinoza, nicht
Hegel. Ja und durch Leipzig dagegen werde ich vermutlich bekannt wie ein bunter
Hund; und das geht mir gegen den Strich." Die Zweifel an der Entscheidung
für den Lehrstuhl, gegen das zurückgezogene Arbeiten und Leben,
erwiesen sich im nachhinein als durchaus berechtigte.
Spinozas "Lehre vom Einzelnen - Allgemeinen,
den Stoff angehend"
Schon die Einlassungen Blochs, die verstreut
im Werk zu finden sind, die er nebenbei von sich gibt, lassen letztendlich
- besser hier: im Grund - eine ambivalente Haltung zur spinozistischen Philosophie
vermuten. Ob sich die Benjaminsche These, das Nebenbei sei eine ausgezeichnete
Quelle der Erkenntnis, hier bewahrheitet, werden die Ausf¸hrungen zu
Spinoza im Materialismusbuch zeigen. Zuerst soll es um Blochs Untersuchung
der Lehre Spinozas hinsichtlich des Verhältnisses von Einzelnem und
Allgemeinem gehen.
"Das neuere Denken kehrte sich sogleich nach außen. Das Einzelne,
das die Sinne zeigten, wurde über alles wichtig. Anstatt der dunklen
Worte und allgemeinen Begriffe wird mehr als je die Sprache der Sachen verlangt,
der versuchend befragten."
Dem sinnlich wahrnehmbaren Einzelnen widmet sich ein nach außen gekehrtes
Denken, das dieses Einzelne erkennen will, indem es das Einzelne selbst zu
Wort kommen läßt, indem das Denken das Einzelne versuchend befragt.
Denken habe seinen Ausgang bei der sinnlichen Wahrnehmung zu nehmen, will
es nicht von vornherein idealistisch sein - so Blochs erkenntnistheoretische
Position. Die Anfänge dieses Denkens waren schwierig; so bei Bruno, der
ein solches Denken zwar praktiziert, aber nie dargelegt habe. Ähnlich
ergeht es neueren Vertretern, wie Francis Bacon (1561-1626) mit seiner Erfahrungswissenschaft:
"So deutlich hier die Lust zum Einzelnen war, so undeutlich blieb die Kunst,
es zu finden."
Als des Rätsels Lösung entpuppte sich schließlich die Mathematik:
"Durchs rechnerische Verfahren wurde das sinnlich Einzelne selber zerlegt,
in seine einfachsten Teile." Der Preis, der für diese lange gesuchte,
endlich gefundene Verfügbarkeit über das Einzelne gezahlt wurde,
ist bekannt: " ... das qualitativ Einzelne verschwand darin ebenso, wie die
frühere ruhende, ständisch gestufte Form". Qualität und Form
macht Bloch als den Tribut aus, der dem Fortschritt zum Einzelnen hin gezollt
wurde. Das Gesetz, das "Allgemeine des Wirkungszusammenhangs", trat, historisch
unabsehbar wirkungsmächtig, an die Stelle des "Allgemeine(n) der Gattung
... oder Form". Dies mag im ersten Schritt unumgänglich und erforderlich
gewesen sein, jedoch hätte dieses Manko nicht einfach verdrängt
und vergessen werden dürfen - um moralisch zu argumentieren. Hier sei
an Bruno erinnert: Bei ihm falle der "Vorrang der Form" weg, "und am verächtlichsten
wird diejenige behandelt, die vom Jenseits her stoßen oder strahlen
soll. Autark ist statt dessen die sich selbst befruchtende, ihre Formen zum
All ausgebärende, sich selbst explizierende Materie", so Bloch. Dies
führe dazu, daß zwischen Materie und Form "keinerlei realer Substanzunterschied"
mehr festzustellen sei. Als Steigerung in Richtung eines noch bruchloseren
Ineinander der Immanenz fällt an dieser Stelle der Bruno-Interpretation
Blochs der Name Spinoza, der "es nicht mehr nötig findet, sich im Stoff-Form-Verhältnis
des Aristoteles und seiner Linken terminologisch-sachlich zu bewegenì,
statt dessen eine "Substanz-Attribute-Einheit", einen Pantheismus lehre.
Seit Descartes nimmt die "Schärfe des Kategorienproblems" zu. Worin
liegt die Schärfe des Problems? Es geht Bloch um das Verhältnis
von Außenwelt und Innenwelt und um das Verhältnis von Allgemeinem
und Einzelnem, um die Angemessenheit der Erkenntnis. "Descartes begann wohl
mit dem berühmtesten Dubito der Erde, doch der mathematische Gott, der
nicht täuschen kann, deckte die Existenz der Außenwelt wie der
allgemeinen Begriffe in ihr." Wir haben also Außenwelt als existierende
und als Trägerin allgemeiner Begriffe. Beides soll die mathematische
Konstruktion abdecken. Auch auf das Einzelne, als Element der Bewegung , wird
der Funktions- und Gesetzescharakter des Allgemeinen übertragen. Als
qualitativer Rest bleibt die sinnliche Wahrnehmung des Einzelnen. Was geschieht
nun in der Folge, bei Spinoza angefangen, mit diesem so zugerichteten Einzelnen?
"Sachlich geriet die Besonderheit als bloßer Modus, und zwar an großen
neuen Gebietskategorien (Attributen) der Ausdehnung und des Bewußtseins.
Die einzelnen Körper sind Modi der Ausdehnung und unterscheiden sich
nur quantitativ voneinander, die einzelnen Geister sind Modi des Bewußtseins
und unterscheiden sich durch dessen Grade. Die Vielheit der Modi selber, obwohl
sie hauptsächlich quantitativ ist, wurde nicht deduziert, auch nicht
der attributhafte Dualismus der Substanzen."
Nun holt Bloch zu einer Kritik an Spinozas "Verstandesglauben" aus: Gab
es bei Descartes, gegen den Spinoza verschiedentlich polemisiert hat, noch
den Zweifel, ist er bei Spinoza getilgt. Wissen und Gesetz regieren in Spinozas
Welt, und zwar durchaus. So kommt Spinoza zu einem "Glauben aus Wissen ...
wie es bisher nie erhört war und alles Schwanken, ja alles Wollen" schied
aus. Spinoza vereinigt "das mystische der inneren Versenkung ins All-eine
und das kalkulatorische des more geometrico sich entwickelnden Gedankens."
Dem Einzelnen wird ein bescheidener, zwangsläufig begrenzter Ort zugewiesen:
"Nur die sinnliche Wahrnehmung kennt darin Einzelnes, aber als ein erst von
ihr Zerstückeltes", hingegen kennt die "adäquate Erkenntnis ...
nur gesetzmäßige Folge von allem und jedem aus vernunfthaft bestimmtem
Grund" - welche bereits erkennbare "Eigenschaft" des Grundes Bloch bezweifelt.
Aus dem Wesen Gottes sollen mit mathematischer Notwendigkeit alle Dinge folgen,
so wie aus der Definition des Dreiecks dessen Eigenschaften ableitbar sind
und zwar in der Erkenntnis wie im realen Prozeß, wie es in Lehrsatz
7 der Ethik heißt:
"Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist die selbe wie die Ordnung
und Verknüpfung der Dinge."
Die Errichtung seines großartigen Systembaus gelinge Spinoza aber
nur deshalb, unterstreicht Bloch mehrmals, weil bei ihm der Kraftbegriff
und der Bewegungsbegriff fehlten, er somit hinter die bereits errungenen
mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse (Galilei, Descartes) zurückging:
"Mit anderen Worten: die ideale ordo et connexio in der Ideenreihe (die
Folge der Erkenntnisgründe) entspricht deshalb so vollkommen der ordo
et connexio der Dingreihe (der Folge der Realgründe), weil beide Attributreihen
(die ideale der cogitatio, die reale der extensio) rein geometrisch sich darstellen
und entwickeln."
Bloch kommentiert dies als Zumutung der cogitatio an die extensio, wofür
sich die extensio durch den "Primat des Raums in jeder Art von Entwicklung"
schadlos halte, "gemäß der Analogie der Substanz mit dem geometrischen
Raum", dem "Raum als Wertkategorie einer völlig gelassen haltenden Ruhe".
So gerate Spinoza in die Nähe "der alten, antiken Gattungs- oder Statikfreude",
jedoch "geschah das Novum, daß das Allgemeine eben dem geometrischen
Raum sich verband und das Individuelle, wenn nicht den Teilen, so den "Modifikationen"
des Raums" mit dem Ergebnis, daß das Individuelle letztlich doch der
Quantität subsumiert wurde: "es gibt in diesem System weder selbständige
Individuen noch ihre Intensitäten". Mögliche Einwände gegen
diese Feststellung "Entindividualisierung" nimmt Bloch gleich vorweg:
"Dem widerspricht auch der "homo liber" nicht, den das fünfte Buch
der "Ethik" ergreifend feiert; denn die menschliche Freiheit ist nur eine
als adäquate Erkenntnis der Notwendigkeit, als "amor fati". Der homo
liber wandelt zwar, über weite Zeiten, aus der Stoa herüber, doch
noch enger als dort ist er mit der allgemeinen Weltordnung verschränkt,
mit patriarchalischem amor fati, also stört er die undurchbrechbare
Determination nicht. Auch diejenigen Einzeldinge (res particulares), welche
nicht bloße Phantome der zerstückelnden Wahrnehmung sind, auch
die res particulares quantitativer Auffassung sind nicht einmal so relativ
selbständig wie die Modi der Substanz. Das galt noch bei Descartes,
auch gab es bei Descartes viele endliche Substanzen, und die Attribute waren
deren allgemeinste Gattungsbegriffe. Spinoza dagegen kennt nur eine einzige
Substanz, und die Attribute sind Gebietskategorien unterhalb ihrer."
Das Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen, das Verhältnis der
Substanz zu ihren Besonderungen, das Verhältnis des Menschen zum Unbedingten
ist für Spinoza "nicht von einem Modus, also nicht vom Menschen her sachgerecht
bestimmbar, sondern allein von dem her, in dem alle Modi sind, d.h. der göttlichen
Substanz." Als Ergebnis erscheint bei Spinoza "ein Kategoriensystem des Allgemeinen,
das seit je im scholastischen Realismus grassiert hat und dort nur durch
künstliche Eigenbestimmungen des Sonderseins (zuhöchst Weltseins)
verhindert worden war" Deutet die Terminologie ("grassiert") Blochs kritische
Haltung bereits an, wird diese durch die weiteren Ausführungen verstärkt
("Universalismus ohne aniam mea, ohne Person" usw.), so würdigt Bloch
doch voller Verehrung die Einzigartigkeit des spinozistischen Systems. Aber,
so Bloch, es bleibe doch ein "anachronistisches Spätlicht", das auf
eine Ewigkeit baue, "die es im mühseligen Reichtum des Daseins nicht
oder noch nicht oder niemals gibt", was auch Spinozas letzter Satz der Ethik
zuzugeben scheint:
"Und freilich schwierig muß sein, was so selten gefunden wird. Denn
wie wäre es möglich, wenn das Heil leicht zugänglich wäre
und ohne große Mühe gefunden werden könnte, daß fast
alle es unbeachtet lassen? Aber alles Erhabene ist ebenso schwer wie selten."
Welche Konsequenzen hat Spinozas Denken, das Verhältnis von Einzelnem
und Allgemeinem betreffend, somit für die menschliche Praxis, insbesondere
für den Wunsch nach einem glücklichen Leben? Revolutionär ist
zunächst die Weise, wie das Verhältnis der Menschen zu Gott (der
Substanz) bestimmt wird: " ... Gott wird so bestimmt, dass aus seinem Begriff
die Welt und der Mensch in ihr vollständig begriffen werden können.
Damit wird der traditionelle Begriff der "creatio mundi" eliminiert, die
Transzendenz Gottes geleugnet und die Relation Gottes zur Welt unter dem
Aspekt einer Kausalität interpretiert, die ihren Grund nicht in einem
schöpferischen Verstand Gottes hat, sondern in dessen Natur, die selber
als Kausalität, als die eine hervorbringende Macht verstanden wird,
aus der die Totalität dessen, was ist, mit Notwendigkeit folgt und in
der sich Gott, sich nicht hinter ihr als ein geheimnisvolles und unerforschliches
Seiendes verbergend, ganz erfüllt." Dieses Verhältnis wird
bei Bloch im zweiten Kursus thematisiert und dann diskutiert werden. Was aber
aus dem Substanz-Begriff weiter folgt, ist ein neues Menschenbild:
"Der Mensch als Glied der aus der Natur Gottes notwendig folgenden Welt
ist kein auserwähltes Geschöpf innerhalb der Welt, sondern gegenüber
nicht-menschlichem Seienden allein dadurch ausgezeichnet, dass er der Reflexion
fähig ist und deshalb, im Unterschied zu anderem Seienden, nicht nur
als Modus der göttlichen Substanz durch diese determiniert ist, sondern
sich in diesem Status, je bestimmter Modus zu sein, aus Gott zu begreifen
vermag und somit das, was er immer schon ist, nunmehr auch wissen kann. Allein
dieses Wissen kann Grund eines Handelns sein, in dem der Mensch in Übereinstimmung
mit sich selber ist und nicht der Illusion eines Ziels nachhängt, dass
er etwas erreichen sollte, was ausserhalb von ihm gelegen ist, sei es in der
Welt oder jenseits von ihr."
Spinozas "Lehre von der Materie"
Im 26. Abschnitt des Zweiten Kursus
im Materialismusbuch analysiert Bloch Spinozas Materiebegriff unter der Überschrift
"Materie, gesehen in Gott; als Ausdehnungsattribut Gottes", übrigens
zusammen mit dem Materiebegriff Nicolas Malebranches (1638-1715), welcher
mit Spinoza nichts zu tun haben wollte und ihn in seinen Meditations chretiennes
(1683) kritisierte. Allerdings wurde Malebranche auch schon von Zeitgenossen,
so von Antoine Arnauld (1612-1694), mit Spinoza in Verbindung gebracht: Jener
bekämpfte Malebranches Position, die Ideen in Gott zu verorten, "was
so weit führe, dass er durch die Idee der intelligiblen Ausdehnung (Hervorhebung
D.Z.) verkörperlicht werde". Malebranche wehrte sich gegen die unterstellte
Verbindung mit den "abscheulichen Auffassungen von Spinoza", aber genau an
diesem Punkt knüpft auch Bloch an: Er sieht in Malebranche zwar einerseits
"die versuchte spiritualistische Gegenbewegung gegen einen unaufhaltsamen
pantheistischen Materialismus", das Pathos der "Ausdehnung" hingegen fände
sich bei ihm ebenso wie bei Spinoza, was Bloch zu einer gemeinsamen Darstellung
veranlaßt.
Bei Spinoza begegnen wir einem Primat des Attributs der Ausdehnung - "Körperlichkeit,
Materie" - gegenüber dem Attribut des Denkens. Bloch geht zunächst
aus von der Anmerkung zu Lehrsatz 2 in dritten Teil der Ethik "Von dem Ursprung
und der Natur der Affekte", wo Spinoza erklärt, "daß Seele und
Körper ein und das selbe Ding sind, das bald unter dem Attribut des Denkens,
bald unter dem Attribut der Ausdehnung begriffen wird". Die Prävalenz
der Ausdehnungs-Modi erweist sich für Bloch aus Spinozas Ablehnung der
Willensfreiheit und des Zweckbegriffs, letzterer bei diesem ein reiner Denk-Modus.
Spinozas Natur werde beherrscht von "geometrischer Notwendigkeit" und "mechanischem
Kausalnexus"; "Geister, aber auch Wunder (aus einer prävalierenden Zweck-Logik
der Idee allein) haben hier keinen Raum".
In der "Prävalenz der Körperlichkeit vor aller Spiritualität"
sieht Bloch auch die einzige Erklärungsmöglichkeit für die
"seltsame Vermischung" von Realgrund und Erkenntnisgrund bei Spinoza. Die
Prävalenz der Körperlichkeit gilt nicht nur für Einzeldinge,
"sie hat ihre Garantie in der göttlichen Substanz selbst", da die "Darstellung
der Welt more geometrico völlig undenkbar (wäre), wenn die "Ausdehnung"
in Gott selber nicht das Attribut aller Attribute wäre, wodurch erkannt
wirdì. Der ausgedehnte, körperlich-geometrisierte Gott bedeutet
ein ebensolches Diesseits, insofern ihm Leidenschaften fehlen ist es ein "nicht-anthropomorphes
Diesseits". Als Quelle des "nicht-anthropomorphen" Gottes von Maimonides
bis Spinoza, ja noch in der negativen Theologie, nennt Bloch die Lehre Plotins,
daß in der Sphäre des Intelligiblen "nur die platonischen Grundideen
(Sein, Beharren, Bewegung, Identität, Anderheit)" gelten und walten;
und wenn diese in der Weltsphäre wenigstens "per analogiam" vorhanden
sind, bleiben "die sinnlichen Kategorien der göttlichen Sphäre
völlig fremd".
Die Menschen sehen sich der Welt als einer geometrisch begründeten
Notwendigkeit gegenüber mit dem Auftrag, sich wissend als Teil derselben
zu begreifen und ihr Handeln entsprechend auszurichten, einer Welt, deren
Wesen "eine begriffene expressio des metaphysischen Raums" ist. Die Substanz
wird nicht mehr, wie bei Bruno, als "gebärende Mutter", immerhin als
"Mischgrund", gesehen, sondern als "Kristallgott", in "Klarheit katexochen".
Auf dieser Basis, der geometrischen, nimmt Spinoza die bei Averros angelegte
Lehre der natura naturans und der natura naturata auf. Der berühmte 29.
Lehrsatz in Teil I "Von Gott" der Ethik lautet:
"In der Natur der Dinge gibt es nichts Zufälliges, sondern alles ist
kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise
zu existieren und zu wirken."
In Spinozas "Anmerkung" zu diesem Lehrsatz finden sich dann die entscheidenden
Nennungen:
"Bevor ich weiter fortfahre, will ich hier erklären, was wir unter
naturender Natur" und was wir unter "genaturter Natur" zu verstehen haben,
oder ich will vielmehr nur darauf aufmerksam machen. Denn ich glaube aus
dem Vorangehenden geht es schon hervor, nämlich, daß wir unter
naturender Natur das zu verstehen haben, was in sich ist und durch sich begriffen
wird, oder solche Attribute der Substanz, die ewige und unendliche Wesenheit
ausdrücken, das heißt ... Gott, sofern er als freie Ursache betrachtet
wird. Unter genaturter Natur dagegen verstehe ich alles, was aus der Notwendigkeit
der Natur Gottes oder eines jeden von Gottes Attributen folgt, das heißt,
die gesamten Modi der Attribute Gottes, sofern sie als Dinge betrachtet werden,
die in Gott sind, und die ohne Gott weder sein noch begriffen werden können."
Spinozas natura naturata besteht für Bloch aus "mathematisch-zweckfreien
Entlassungen", "Entlassungen" - Bloch vermeidet sogar den Terminus "Produkt",
der einen Entstehungsprozeß, ein aktives Element beinhaltet -, die eine
zweckfreie, nicht-teleologische, rein notwendige natura naturans bewirkt.
Trotzdem Bloch Spinoza vorgehalten hatte, daß er es nicht mehr nötig
fände, sich im Stoff-Form-Verhältnis des Aristoteles und seiner
Linken terminologisch-sachlich zu bewegen, statt dessen eine "Substanz-Attribute-Einheit"
einen Pantheismus lehre, schließt Bloch seinen Spinoza-Abschnitt im
zweiten Kursus mit der Feststellung, es sei Spinozas Verdienst und die "Wahrheit
des Spinozismus", die "vormals göttlich hypostasierten Formkräfte
in die Materie" eingeführt, ein "nichtgeistiges Substrat" geschaffen
zu haben. Dies gelinge Spinoza durch eine übersteigerte Betonung des
Allgemeinen, was ihn in die Nähe "antiker Gattungs- und Statikfreude"
bringe, auf Kosten des Einzelnen, der Bewegung und Kraft, durch Eliminierung
des Zwecks bzw. des Teleologischen.
Immanenz versus Transzendieren ohne Transzendenz
Zweifellos verbindet Spinoza und Bloch das Bestreben, den ersten oder letzten
Grund erkennen zu wollen. Die später durch Kants Ding-an-sich gezogene
Grenze zu überschreiten, sei Blochs stetes Anliegen gewesen, wie Adorno
1959 anläßlich des Erscheinens der erweiterten Ausgabe der Spuren
schreibt:
"Hinter jedem Wort steht der Wille, den Block zu durchstoßen, den
seit Kant der common sense zwischen Bewußtsein und Ding an sich schiebt;
die Sanktionierung dieser Grenze wird selbst der Ideologie zugerechnet als
Ausdruck des sich Bescheidens der bürgerlichen Gesellschaft in der von
ihr zugerichteten, verdinglichten Welt, der Welt für sie, der von Waren.
Das war die theoretische Koinzidenz von Bloch und Benjamin. Indem jener aus
purem Freiheitsdrang die Grenzpfähle einreißt, entledigt er sich
der philosophie- und landesüblichen, erstarrten "ontologischen Differenz"
von Wesen und bloßem Dasein. Das Daseiende selber wird, unter Wiederaufnahme
von Motiven des deutschen Idealismus und schließlich Aristotelischen,
zur Kraft, zur Potenz, die aufs Absolute hintreibt."
Blochs Philosophieren nimmt dabei seinen Ausgang - und sein Ende - bei der
menschlichen Existenz: "Ich bin, aber ich habe mich nicht, darum werden wir
erst". Und so träfe auch Bloch Spinozas Kritik an Descartes, daß
Philosophie ihren Ausgang nicht vom Ich, sondern von Gott zu nehmen habe,
auch wenn es um den Status des Menschen geht. Spinozas Methode "analysiert
nicht gegebene Wirkungen auf deren Ursache hin, sondern geht von einer allen
Wirkungen vorgängigen gegebenen adäquaten Erkenntnis der letzten
Ursache aus, um von ihr fortschreitend, erst zu einer klaren und deutlichen
Erkenntnis einzelner Dinge zu gelangen, die als von einer erkannten Ursache
bewirkte nicht aufgrund zufälliger Eigenschaften, sondern in ihrem essentiellen
Bestimmtsein erkannt werden". Doch Spinoza zahlt einen Preis für seine
Wißbarkeit des letzten Grundes, nämlich den, "dass alle Momente,
die sich einer Begreifbarkeit entziehen, aus seinem Begriff entfernt sind."
Bloch entfernt diese unklaren Momente nicht, vielmehr sind sie ihm ein Zeichen
der Unvollendetheit der Welt, die deren Möglichkeitscharakter erst begr¸ndet.
Dies ist sozusagen das neue Wissen des "Noch-Nicht" der Blochschen Philosophie.
Sie steht im Zeichen einer differenzierten Dynamik, die sich auch in der Naturphilosophie
nicht verträgt mit der spinozistischen Statik. Aus beiden Modellen ergeben
sich anthropologische und ethische Konsequenzen; diese bezeichnen den eigentlichen
Angriffspunkt Blochs, der sowohl Bruno - obgleich er mit seiner Monadenlehre
ein Gegengewicht zum maximalen Universum kennt - als auch Spinoza vorhält:
"Bei beiden aber haben die eigenen Angelegenheiten des Menschen keinen Platz
im Weltall; bei beiden ist deus sive natura in sich selbst ruhend und fertig.
Alter Astralmythos mit Schicksalglauben klingt an, bei Spinoza ergriffen und
mehr als stoisch in seinem amor fati; so haben weder humanistischer noch dialektischer
Materialismus hier unmittelbaren Platz."
Im Münzerbuch gibt es die noch drastischere Stelle, die hier zur Verdeutlichung
angeführt sei: "Wesensgemäß liegen die Felder, in denen Christus,
der Unbedingte, umgeht, die Räume der letzten Ratio in Dämmerung,
im noch ungewissen inneren Licht; alles Kristallhafte zerbricht davor und
wird zur Frivolität", mit eindeutigem Spinoza-Bezug ¸ber die Kristallmetapher,
und Christus als Menschensohn, nicht Gott. Die Neigung zum Menschen prägt
Blochs Denken, er mutet ihm Spinozas Perfektion angesichts der geschichtlich
gewordenen Lebenswirklichkeit nicht zu. So schreibt er an Adolph Lowe:
"Zur Zeit schreibe ich ein neues Kapitel in den ersten Hoffnungsband: "Tafel
der Leidenschaften, gefüllte und Erwartungsaffekte". Du erinnerst Dich
an die spinozistische "definitio affectum" in der Ethik; das soll wieder aufgenommen
werden, aber nicht mit jenem Rationalismus, der das Nichts nicht kennt (bezeichnet
in Angst und so fort), sondern nur das Sein, und der die Affekte (seit Sokrates
und der Stoa) nur als perturbationes animae einrangiert, also vertreibt,
statt ihnen mit anderer, mit metaphysischer Ratio, gerecht zu werden und
sie zu illuminieren. Die wichtigsten bei mir sind, außer der ihnen
verwandten "Liebe", nat¸rlich die Erwartungsaffekte (die negativen:
Angst, Furcht, Schreck und der negative Entscheid: Verzweiflung; die positiven:
Hoffnung und der (ausstehende) positive Entscheid: Zuversicht)."
Auch hier wird erneut die Ambivalenz deutlich, die Blochs Beziehung zu Spinoza
charakterisiert. Im Prinzip Hoffnung findet Bloch für Spinozas Ethik
das eindringliche Bild einer "Marmorhalle", in die der "dem extensiv Objekthaften
so zugewandte" Spinoza eine Definition der Affekte einfügte, quasi als
Fremdkörper. Dies insofern, - hier zitiert Bloch Dilthey - als Spinoza,
wie auch Descartes, in ihrer Affektlehre "Betrachtungen von außen" geben,
"mit Beziehungen, die in keiner inneren Wahrnehmung gegeben sind." So kennzeichnet
existenzphilosophische Positionen eine Affektnähe, reines Objektdenken
eine Affektabwehr, "alles, was im Affektiven cum ira et studio zielt, als
"perturbatio animi" auch methodisch, mithin als "Asyl der Unwissenheit", in
Spinozas Sinn."
Insgesamt sieht Bloch Spinoza als Wegbereiter des Deutschen Idealismus,
der dann, diesen mißverstehend, die Geometrie aus dem Spinozismus entfernte
und Spinozas Substanz verwandelte in ein "kosmisches Subjekt-Objekt":
"Damals wurden die organischen Renaissance-Elemente nicht nur in Bruno,
auch in Spinoza neu ergriffen, der organische Naturgedanke wurde zum letzten
Mal bürgerlich-revolutionär erfaßt. Das Dasein der bewegten
Materie (Erdgeist, Substanz) war Leben, nicht Tod; und es war im Spinozismus
Goethes, sogar Schellings immer noch Dasein der ñ Materie. Es ist
der völlig transzendenzfreie Blick auf die Welt, der seit Bruno und
Spinoza das Diesseits geladen hat und es nicht etwa verarmen mußte,
im Gegenteil."
Kein Materialismus, ob heute oder in Zukunft, eben auch kein spekulativer
Materialismus, kann die Tradition der Aristotelischen Linken und ihrer Nachfolger
ignorieren, auch wenn diese pantheistisch schon alles gut und all-erschienen
sein läßt:
"Doch kein Weg nach außen und genau in dessen Mehr: die eschatologische
Tiefe, geht ohne Bruno und Spinoza, ohne dieses andere, nämlich nicht
innerliche Gewissen - gegen Subjektivismus und Mechanistik zugleich."
Jedoch mußte, eingedenk dessen, weitergegangen, fortgeschritten werden
zur Subjekt-Objekt-Dialektik, "zur revolutionären Gleichung: Substanz
= Subjekt.", der von Hegel postulierten:
"Bei Hegel schließlich sprang aus der postulierten Gleichsetzung des
Subjekts mit der Substanz ein ganzes Erf¸llungssystem historischer Vermittlungen
heraus, dergestalt, dass hier die Totalität des Absoluten nicht nur
abstrakt oder an Beispielen und Allegorien, sondern konkret, in einem dauernd
sich berichtigenden Prozess immer realerer Symbolgestalten des Fürsichseins
erscheint. Nun ist nicht mehr das abstrakte Denken der Ort der Genesis der
Kategorien, wie in der Mathematik und den formal rationalistischen Systemen,
sondern die "Methode" ist wahrhaft eine solche, ein Gehen mit dem Weg der
Geschichte als dem Organon konkreter Philosophie."
Subjekt und Substanz heute
Diese Freude des Subjekts an sich selbst
könnte getrübt und berichtigt werden durch neuere Forschungsergebnisse,
die nahelegen, daß die Spezies "Mensch" nicht das abschließende
und auch nicht das ausschließliche höchste Lebewesen des Universums
ist, sondern "daß eine Vielheit unterschiedlichster Existenzformen
"jenseitsí der menschlichen gar nicht ausgeschlossen werden kann,
unter evolutionssystematischen Gesichtspunkten sogar äußerst notwendig
erscheint, der Mensch somit nur vergleichsweise unbedeutendes, transitorisches
Zwischenprodukt der Materie wäre". Ausgehend von diesen Forschungsergebnissen,
die er im geschichtsphilosophischen Teil seiner kürzlich vorgelegten,
neue Perspektiven weisenden Arbeit Subjekt und Existenz. Zur Systematik Blochscher
Philosophie anführt, prüft Rainer E. Zimmermann die Kompatibilität
von aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis mit der Blochschen Naturphilosophie,
welche sich aus naturwissenschaftlicher Sicht als besonders dialogfähige
und produktive Instanz erwiesen hat. Aus der Tübinger Einleitung zitiert
Zimmermann folgenden Satz:
"Die Welt ist ein Experiment, das diese Materie durch uns mit sich selber
anstellt."
Wie stets bei Bloch wird auch an dieser Stelle mit dem "durch uns" die herausgehobene
Stellung des Menschen im Weltprozeß betont - nicht im Sinn eines solipsistischen
Subjektivismus: Der Mensch ist möglicher Geburtshelfer des Neuen, ist
entscheidender "Innovationsfaktor" in der aktiven Entwicklung, nicht nur passiven
Entfaltung des Welthaften mit dem Ziel einer Allianz von Mensch und Natur,
mit Pr‰valenz der menschlichen Zwecke.
Zimmermann sieht Blochs Formulierung "aus heutiger Sicht" als "nicht vollständig
befriedigend" an und schlägt als "íkorrekte" Formulierung folgende
vor:
"Die Welt ist ein Experiment, das die Substanz, unter anderem durch uns,
mit sich selber anstellt."
Es fällt nicht nur die neue Bescheidenheit auf - "unter anderem durch
uns" - es verwundert vielmehr, daß Blochs "Materie" spinozistisch durch
Zimmermanns "Substanz" ersetzt ist. Seine "Neufassung" des Bloch-Satzes einleitend
schreibt Zimmermann, Materie selbst könne nicht Substanz sein, "auch
dies ein Aspekt der in der heutigen Zeit neuerlich (vor allem nach Maßgabe
einzelwissenschaftlicher Ergebnisse) erforschten onto-epistemischen Vermittlungsverhältnisse
des Welthaften und seines Grundes". Abgesehen davon, daß fraglich scheint,
ob Bloch mit der generellen Platzanweisung an die Philosophie, sie habe sich
an der Einzelwissenschaft auszurichten und sei dieser insofern nachgängig,
einverstanden gewesen wäre, scheint eine kurze Klärung der hier
anhängigen Substanz-Begriffe erforderlich.
Beginnen wir mit dem "Skandal der modernen Philosophie" (wie gesagt, ob
Bloch so modern sich gezeigt hätte, bleibt eine offene Frage): "In ihrer
Ausrichtung auf eine fundamentale Einzelwissenschaft (die Physik) - also
mit "außerphilosophischen" Mitteln - trifft sie (die moderne Philosophie
D.Z.) eine grundlegende, philosophische Entscheidung (nämlich zugunsten
des Materialismus). Und sie muß dies tun, weil sie sonst gegen eigene,
philosophische Grundsätze verstößt (gegen den Satz vom zureichenden
Grunde und das Prinzip des Ockhamschen Rasiermessers)!" Die einfachen physikalischen
Erkenntnisse, die diese Entscheidung erzwingen und es müßig erscheinen
lassen, kompliziertere Erklärungen zu suchen, sind folgende: Nach dem
"Kosmologischen Prinzip" ist die Physik überall im Universum dieselbe.
Die Geschichte des Kosmos kann "in der Hauptsache als eine Geschichte zunehmender
Systemkomplexität beschrieben werden ... Von einem Beginn ausgehend
(dem "Urknall" oder Big Bang), entstehen im Zuge der Entwicklung neue Strukturen
im Universum, die jeweils echte Innovationen darstellen ... Das grundlegende
Substrat des Universums (Raum-Zeit-Materie) verändert sich dabei in
keiner Weise, es kommt nichts dazu, es verschwindet nichts. Nur die Komplexität
der produzierten Systeme nimmt permanent zu." Dies vorausgesetzt, ist auch
menschliches Denken nichts anderes als eine spät entstandenes, komplexes
Raum-Zeit-Materie-System: "Denken ist Materieform."
Nun folgt die Unterscheidung der Substanz vom Substrat: Substrat ist die
Raum-Zeit-Materie, und diese ist etwas Welthaftes. Damit stimmt Bloch überein:
Bei ihm haben wir bereits, unter Verwendung der aristotelischen Materiedifferenzierungen,
Materie auch als entwicklungsfähige konzipiert, wobei die starke Betonung
der Offenheit ("Prozeßmaterie") mit dem Kosmologischen Prinzip, daß
während des Weltprozesses nichts hinzukommt und nichts wegfällt,
scheinbar kollidiert, aber durch den Latenz-Begriff abgefedert wird:
"... die Materie ist die reale Möglichkeit zu all den Gestalten, die
in ihrem Schoß latent sind und durch den Prozeß aus ihr entbunden
werden ... Real Mögliches wird von hier ab (dem Aristotelischen "dynamei
on" D.Z.) begreifbar als Substrat".
Blochs Ausgangspunkt der Konzeption einer Prozeßmaterie ist aber wiederum
der Mensch und seine Geschichte. Die dialektisch-materialistischen Entwicklungsmomente
wie "subjektiver Faktor, Reife der Bedingungen, Umschlag von Quantität
in Qualität, gar Veränderbarkeit": müssen sich in der Materie
bewähren. Unter Zugrundelegung der von Bloch sogenannten "Klotz-Materie"
wären sie substratlos: "Übergang aus dem Reich der Notwendigkeit
in das der Freiheit hat nur an unabgeschlossener Prozeßmaterie Land.
Genau die bisher entferntest gehaltenen Extreme: Zukunft und Natur, Antizipation
und Materie - schlagen in der fälligen Gründlichkeit des historisch-dialektischen
Materialismus zusammen."
Wie unterscheidet sich der Begriff der Substanz von dem des Substrats im
gegenwärtigen Diskurs? Der Unterschied kann veranschaulicht werden, wenn
man sich die klassische Relativitätstheorie auf der einen Seite und
die Quantentheorie auf der anderen als zwei Aspekte der einen zugrundeliegenden
einheitlichen Theorie vorstellt, die aber noch nicht gefunden wurde. Es wurde
sich dabei um eine "Theorie von allem" ("theory of everything" (TOE)) handeln,
wobei die Quantengravitation derzeit die aussichtsreichste Kandidatin dafür
ist. Denn es ist immer nur ein und dieselbe Welt, auf die wir uns beziehen,
und wir vermuten, daß sie mit dem Begriffsinstrumentarium einer einheitlichen
Theorie beschrieben werden kann. So verhalten sich die bestehenden Theorien
zu dieser zukünftigen Theorie wie die Attribute der Substanz zur Substanz
selbst in der Tradition metaphysischen Denkens. Im Gegensatz zur Substanz
jedoch, die sich einer Beschreibung in wissenschaftlichen Termini generell
entzieht (gemäß der beschränkten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit),
können die Attribute der Substanz in ihren Grundzügen mit dem Begriffsinstrumentarium
einer zukünftigen TOE gut dargelegt werden. Und das Substrat ist das
stoffliche Korrelat dieser TOE. Daher sind Substrat und TOE zusammen die einheitliche
Beschreibung dessen, wie Menschen das Attribut der Substanz darstellen können.
Die Substanz der einen Welt hingegen muß noch eine Ebene tiefer angesiedelt
werden, sie wird, ganz im Sinn des Nikolaus von Kues, als "erster Ursprung"
verstanden, der die "einfachste und vollkommenste Unteilbarkeit" ist, und
dessen Unteilbarkeit "Ursache von allem ist":
"Die Lösung dieses Problems scheint in dem Konzept "prä-geometrischer
Strukturen" zu bestehen: Das heißt, schon auf der binnenphysikalischen
Ebene wird nach einer abstrakten Struktur gesucht, aus der sich das Universum,
als durch Raum-Zeit-Materie ausgedrückt, ableiten läßt, so
daß makroskopische wie mikroskopische Physik als zwei verschiedene Perspektiven
erscheinen, unter deren unterschiedlichen Blickwinkeln die Welt jeweils in
Sicht genommen werden kann."
Freilich würde dieser erneute, aktualisierte mathematische Ausgriff
Bloch an Spinoza erinnern - ob die neue Art der Mathematisierung der Substanz
seine prinzipiellen Einwände korrigieren würde, bleibt fraglich.
Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, daß Bloch sich in der Nähe
einer Substanz-Metaphysik aufhält, aus der jedoch kein mathematisch zureichend
erklärbares Welthaftes resultiert, sondern ein weitgehend dem Menschen
und sich selbst noch nicht erkennbares, disparates Welthaftes. Ein Blick
auf den von Bloch verwendeten Substanz-Begriff soll seine Position verdeutlichen.
Bei der Lektüre von Blochs systematischem Hauptwerk fällt auf
- wie auch sonst im Werk -, daß er mit dem Begriff "Substanz" mehr
als sparsam umgeht. Ein Grund hierfür liegt meines Erachtens in der
Schwierigkeit, Substanz in ein offenes System zu integrieren, was er aber
anstrebt. Die Substanz ist als Daß im Grund wirkend und für die
Menschen erfahrbar, in der Latenz als Substantialität anwesend; ihre
Erkennbarkeit im Was eines erlangten Inhalts wird in Aussicht gestellt, ja
der gesamte Weltprozeß wird als Experiment dahin verstanden. Als vorläufiger
Garant dieser prinzipiellen Erkennbarkeit gilt die punktuell bereits gelungene
Realisierung des Was-Inhalts, bezeichnet mit der Kategorie des VorScheins.
Im Experimentum Mundi findet sich im Abschnitt über die Auszugsgestalten
eine Aussage zum Verhältnis von Materie und Substanz. Alle Gestaltfigur,
betont Bloch, "emergiert ... aus dem dialektischen Prozeß und aus der
Materie als sich entwickelnder, sich ausgebärender Substanz, so immanent
wie spekulativ". Die Blochsche Position scheint somit klar zu sein: Die Materie
ist die sich dialektisch entwickelnde ausgebärende Substanz, und diese
Substanz hat ein immanentes und ein spekulatives Potential.
Wie bestimmt nun Bloch diese Substanz? Blochs Substanzbegriff ist qualitativ-prozessual:
"Die Verstärkung der Weltfrage und ihres Inhalts durch den Menschen eröffnet
erst den ‹bergang der Weltdinge aus einer noch stockenden, verkrustenden
Dinghaftigkeit zum Gärenden wie Fragenden wie Überwölbenden
eben der Substanz, das ist Prozeßsubstanz. Als solche ist sie keine
Transmissionskategorie, auch keine Gestaltkategorie, sie hat ja noch keine
herausgebrachte Gestalt erlangt, sondern sie ist Keim und utopisches Totum
der materia ultima im Laboratorium der Welt."
Wesentlich dem offenen System geschuldet ist die für Bloch wichtige
Unterscheidung von Substanz und Substantialität: Die Substanz hat, "im
Unterschied zur umgehenden Substantialität, als noch ausstehendes Totum
keine Grade". Sie selber "ist eben deshalb im Unterschied zur Substantialität
nicht voll am Werk, sondern sie steht ein für das vollendete Werk, für
die gelungene Identität in der Beziehung von Was und Daß, quidditas
und quodditas." Substantialität ist ihre "einzig erst vorhandene Daseinsweise".
Und dann folgt die entscheidende Begründung: Substantialität als
Daseinsweise der Substanz, "wird präformiert durch den logischen Grundsatz
der Identität, der eben darum auch den allein haltbaren Zustand der Substanz
in der seinsollenden Identität formuliert."
Als Postulat steckt die Substanz im unnachlaßlichen Prinzip Hoffnung,
dem das Handeln verpflichtet ist: "So gesehen gibt es auf dem Prozeßweg,
politisch wie vor allem aufs Totale bezogen, ein verwandtes Verhältnis
zwischen dem Prinzip und den Gebietskategorien der Perioden, der umgreifenden
Sphären (vor allem des Ethischen) wie zwischen der Substanz und den Gestaltkategorien
als Auszugsgestalten. Denn das Prinzip eines guten Überhaupt macht ohnehin
bereits die Gestalt-, erst recht die Gebietskategorien zu solchen des versuchten
Auszugs, eben in besseres Gemeinwesen, Substanzwesen."
Eine "all-eine", bereits herausgebrachte Substanz müßte sich
in allen "Modi" ausdrücken; ein qualitativer Unterschied, wie ihn Bloch
mit den "Auszugsgestalten" konzipiert, wäre nicht möglich. Die Substanz
ist bei Bloch nicht als "Grund des Welthaften selbst immer schon absolut
identisch mit sich ..., im Sinne von harmonisch als Ganzheit und Einheit
bestehender Unendlichkeit und Ewigkeit und im Sinne strenger Idealität".
Er spricht hingegen von "sich-suchend-gesuchte(r) Kategorie Substanz". Das
Daß "bleibt hierbei leider selbstverständlich durch den Satz vom
Grund und gerade in ihm auch formallogisch noch unerhellt. Es sei denn, der
Satz bedeutet, in solcher Ansehung, mit den Worten Jakob Böhmes, den
Grund gerade als Ungrund." Böhme hatte mit "Ungrund" das noch unoffenbare
Absolute bezeichnet, ihn konzipiert "als das unanfängliche, prädikatlose
Eine, aus dem alle Entwicklung ihren Ursprung nimmt" und über den einzig
positiv ausgesagt werden kann, daß er das "Nichts" ist, "das die Sucht
nach Etwas hat ... Der Wille zum Etwas ist eine Wesensnotwendigkeit des Ungrundes,
da durch ihn das "Nichts" zur Existenz gelangt."
Somit haben wir bei Bloch eine große Affinität zum Böhmeschen
Ungrund als Quelle des Seins. Sicherlich könnte er sachlich auch der
von Zimmermann geschaffenen Figur einer "mit Differenz kontaminierte(n)" Identität
in der Substanz selber als Grund des Welthaften zustimmen. Blochs Terminologie
ist allerdings weniger neutral: Er nennt die kontaminierende Differenz das
Böse, das sich "als negative Umkehrung gleichsam zu einem anderen Prinzip
machen kann". Im übrigen findet sich bei Bloch kein Hinweis, daß
er Substanz bereits bei Spinoza nicht als absolute Identität, sondern
als Identität von Identität und Differenz sehen würde, wie
Zimmermann dies reklamiert. Insgesamt scheint für Bloch eine Substanz-Metaphysik
des "Allgemeinen" Gefahr zu laufen, das Welthafte, insbesondere die Menschen
und ihre Angelegenheiten, zu pejorisieren, wenn es, wie auch immer hergeleitet
und differenziert, ein Ab-fall des Einen ist, angefangen bei Platon: "Dem
an sich selbst Seienden (kaq`auta), das unbezogen oder absolut existiert (apolutwV)
und erkannt wird", steht das "bezüglich Seiende (proV etera) gegenüber,
das in seinem Sein auf das An-sich-Seiende bezogen ist, während dieses
unabhängig vom Bezüglichen" für sich existiert. Darin gründet
die kategoriale Grundunterscheidung von S(ubstanz) (ousia) und A(kzidens)
(paqoV, sumbebhkoV), das nur als Bestimmung an substantiellem Sein existiert
und insofern sein Sein in der Beziehung auf dieses hat. Diese Abstufung der
Seinsarten hängt mit der Seinsstufung in Ideen, Seelisch-Mathematisches
und Sinnfälliges so zusammen, daß das ewigseiende Intelligible
(Ideen, Mathematisches, Seelen) insgesamt die Seinsart des Substantiellen
besitzt, während das veränderliche Sinnenfällige insgesamt
von der Seinsart des Bezüglichen ist und nur durch die Arete als Verwirklichung
seines Wasseins den ihm zukommenden Anteil an der ousia gewinnt, so daß
es kein eigentliches Was (ti), sondern nur ein nach einem Was Qualifiziertes
(poiouton, poion) ist."
Wegen der objektiv gegebenen Schwierigkeit, dieses Eine oder Absolute überhaupt
vorstellen und begrifflich fassen zu können, bleiben vorerst Zweifel
an der Möglichkeit einer umfassenden, erschöpfenden Erklärung,
wie sie heute eine Prägeometrie liefert, was keineswegs die hermeneutische
Tauglichkeit für bestimmte Zwecke bezweifeln soll. Es ist vielleicht
auch müßig, darüber zu spekulieren, da sich an der Grundfigur
Blochschen Denkens, das Welthafte als intensiv-logischen Spannungsprozeß
zu sehen, in dem von einem gelungenen Ende (Identität als Ergebnis einer
prozessualen Identifizierung) her der Ursprung sich erhellen wird, oder, entscheidend
wichtig, von einem mißlungenen Ausgang er uns eben dunkel bleiben wird,
nichts ändert. Den Weltprozeß bestimmt keine "strukturell abgeschlossene
Notwendigkeit", wo innere und äußere Bedingungen zusammenfallen,
wie dies, so Bloch "bei Spinoza in der Definition der Gott-Natur als der
causa sui gedacht wird", sondern Kontingenz wirkt ebenso im Prozeß,
ohne sie gäbe es keine "Entwicklungsfülle". Adornos Einschätzung
im oben genannten Aufsatz unterstreicht diesen Aspekt: Blochs Denken stelle
"Erfüllung" "nach dem Modell leibhafter hdonh" vor, "nicht als Aufgabe
oder Idee. Insofern ist es anti-idealistisch und materialistisch."
Orientierungspunkte für menschliches Handeln sind "mehr oder minder
konkret antizipierbare(n) Wertideale(n) des Zusammenfalls von Grund und Manifestierung",
als strukturelle Möglichkeit gegeben. In ihr öffnet sich der "Horizont
der causa sui oder der gelungenen Identität von Existenz und Essenz als
entschiedenste Heilskategorie. Denn der ideale Punkt, wo Wesen und Erscheinung
zusammenfallen, ist allemal zugleich der absolute Richtpunkt für die
Strukturlinie des human-positiv Möglichen."
Bloch und Selbstorganisation
Die Blochsche Naturphilosophie, wie sie auch in der Interpretation Spinozas
sich niederschlägt, empfiehlt sich den heutigen Selbstorganisationstheorien
als Dialogpartnerin. Der Rückbezug Blochs zum Beispiel auf das Natura-naturans-Konzept,
das die Natur als aus sich selbst produzierende vorstellt, korrespondiert,
ja nimmt teilweise Zusammenhänge vorweg, wie sie dann Prigogine und der
Physiker Hermann Haken (Synergetik) aus einzelwissenschaftlicher Sicht entwickelt
haben. Dabei betont Bloch entschieden den Charakter der Offenheit des Weltprozesses
mit objektiv-realen Möglichkeitshorizonten. Hinzu kommt Blochs Konzept
eines "hypothetischen Natursubjekts", das sowohl die dialektisch fundierte
Erkenntnis des Naturprozesses ermöglicht, sodann aber auch einem ontologischen
Monismus versucht gerecht zu werden, indem das menschliche Subjekt im hypothetischen
Natursubjekt einen Partner nicht nur für "Parallelaktionen" im Sinn
einer strukturellen Ähnlichkeit, sondern sogar für Kooperationen
hinsichtlich der Beförderung menschlicher Zwecke sehen kann. Dieses
Konzept überschreitet noch die Hegelsche Dialektik von Zufall und Notwendigkeit
und möglicherweise die in den Selbstorganisationstheorien präsenten
Strukturbildungs-Modelle, da bei Bloch ein starkes teleologisches Element
konstitutiv für sein Experimentum Mundi ist.
Gleichwohl ist der Gedanke, der seinen Ausgang nimmt von einer Organisation
"von unten her", einer Produktion "von innen heraus", Kern nicht nur der Naturphilosophie
Ernst Blochs, sondern auch seiner praktischen, seiner politischen Philosophie.
In diesem Sinn schreibt Burghart Schmidt schon 1982 in seinem Aufsatz "Zum
Werk Ernst Blochs":
"Die Bestimmungsgründe der Geschichte wurden von Bloch nicht mehr als
unabänderliche Gesetze deklariert, sondern begriffen als offene Tendenzen,
die ihre Verwirklichungsrichtung nur nehmen durch die solidarische Arbeit
der Menschen an der Herstellung ihrer Freiheit. Zweck, Ziel, Sinn vermitteln
sich darin dem Bedingungszusammenhang einer ersten wie zweiten Natur, damit
deren Determinismus, deren Gewalt nicht unwidersprochen hingenommen werden
müssen. Die Verschränkung von Grund und Ziel durch die Arbeit wurde
zum Hauptthema in Blochs spätem Systemwerk "Experimentum Mundi", das
gerade darauf besteht, Ordnung gebe es auch auf eine befreiende Weise, nämlich
als Ordnung von unten her, Selbstorganisation (Hervorhebung D.Z.), und Wahrheit
gliedere sich zwar unabdingbar systematisch, aber offen in den quer hindurchführenden,
die Wissens-, wie Kunst-, wie Praxisdisziplinen verschränkenden, unterbrechenden,
montierenden Versuchsverhältnissen ihrer Inhalte."
Die Diskussion der Naturphilosophie, die Ernst Blochs Sonderstellung im
Kreis der "westlichen Marxisten" ausmacht, setzte sofort nach seinem Tod
ein. Die Ersten Ernst-Bloch-Tage 1978 in Tübingen befaßten sich
mit dem Thema "Marxismus und Naturbeherrschung". 1981 erschien der Band "Andere
Ansichten der Natur" des "Arbeitskreises Naturqualität". Auf mehreren
Tagungen der Ernst-Bloch-Assoziation wurden naturphilosophische Inhalte diskutiert,
so 1986 "Wissen/Wissenschaft und Hoffnung", 1989 "Natur und Praxis", 1991
"Produktive Kräfte und gesellschaftliche Synthesis. Wie gesellschaftliche
Bedingungen die Produktivität von Menschen und Natur prägen" und
2000 "Bruno - Schelling - Bloch. Elemente einer Philosophie". Neben dem Wirken
von Jan Robert Bloch, der als "gelernter Naturwissenschaftler" die Naturfrage
permanent auf der Tagesordnung hatte, erhielt der Dialog zwischen Blochscher
Naturphilosophie und Selbstorganisationstheorie den entscheidenden Impuls
durch die Arbeiten und Projekte von Rainer E. Zimmermann, so in der Zeitschrift
"System & Struktur" und im "Klymene-Projekt". Das INTAS-Projekt steht
so - unter anderem - in der Tradition eines Bloch-Diskurses, der recht produktiv
werden möge.
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Beitrag |
von |
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Doris |
Zeilinger |
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